Veränderungsprozesse ohne Widerstand? Das gibt es nicht. Auch schulische Entwicklungsprozesse verlaufen nicht ohne Reibung. Wichtig ist dabei für schulische Führungskräfte, die Widerstände nicht zu ignorieren, sondern zu verstehen – und so zu agieren, dass sie diese überwinden und konstruktiv wirken können.
DKJS, Illustrationen: Gertrud Fahr, progress4
Ideen für wirksames Leitungshandeln
Vom Aufbau neuer digitaler Strukturen bis hin zur Einführung von Lernzeiten: Wenn Schulen sich weiterentwickeln finden Veränderungsprozesse statt. Das ganze Kollegium gut mitzunehmen, kann dabei sehr herausfordernd sein. Die Kurve der Veränderunghilft, die Reaktionen zu verstehen und einzuordnen. Sie beschreibt sieben Phasen, die Menschen bei abrupten Veränderungen durchleben.
Wie schulische Führungskräfte in diesen Phasen auf die emotionalen Dynamiken reagieren können, zeigt die folgende Übersicht des Prozessmoderators und Systemischen Coaches Andreas Leipelt:
Wirksames Leitungshandeln in den sieben Phasen der Veränderung
Phase 1: Schock
Phänomen: die (subjektiv) wahrgenommene Kompetenz sinkt stark und schnell
Erklärung/Erkenntnis: Keine Problemlösungsstrategie greift. Die Kolleginnen und Kollegen sind erschrocken, geschockt und überrascht – die Situation ist geprägt von Angst und Unverständnis. Doch die „Schockphase“ ist rasch vorüber.
Ideen für wirksames Leitungshandeln:
zeitnah über die Veränderung und ihre Wurzeln informieren
ein Problembewusstsein bilden, indem die Ausgangslage des Veränderungsvorhabens transparent gemacht und geklärt wird
Relevanz der Veränderung eindringlich verdeutlichen
authentisch veranschaulichen, dass die Leitung/die Verantwortlichen hinter der Veränderung stehen
Phase 2: Ablehnung
Phänomen: die (subjektiv) wahrgenommene Kompetenz steigt stark und schnell
Erklärung/Erkenntnis: Überhöhte Einschätzung der eigenen Kompetenz, Verdrängung und Projektion des Problems. Die Gefühle in dieser Phase sind besonders stark: Wut, Ärger, Frust, aber auch Unbehagen machen sich Luft in sehr emotionalen Abwehrreaktionen.
Ideen für wirksames Leitungshandeln:
den Unmut gelassen aushalten (das kann so weit gehen, sich auch mal anschreien zu lassen – aber nehmen Sie es auf keinen Fall persönlich!)
das Verhalten nicht negativ bewerten und zugewandt bleiben
die Ängste und Sorgen ernst nehmen
auf Empfang schalten und wirklich zuhören
Phase 3: rationale Einsicht
Phänomen: die (subjektiv) wahrgenommene Kompetenz sinkt langsam
Erklärung/Erkenntnis: Bisher angewandte Methoden funktionieren nicht mehr. Veränderungen sind unausweichlich. Frust macht sich breit, vor allem ausgelöst durch das ungute Gefühl, dass die bisherige Arbeit nicht gut gewesen sei.
Ideen für wirksames Leitungshandeln:
am Ziel des Veränderungsvorhabens festhalten
bzgl. der Art und Weise der Umsetzung partizipativ und flexibel sein
weiterhin vor allem verständnisvoll sein
Kolleginnen und Kollegen stärken, die erste Schritte machen wollen
Phase 4: emotionale Akzeptanz
Phänomen: die (subjektiv) wahrgenommene Kompetenz ist „am Boden“
Erklärung/Erkenntnis: Loslassen von alten Gewohnheiten, Strategien und Methoden. Die Emotionen in dieser Phase werden oft nicht besonders laut geäußert, gehen aber umso tiefer: Unsicherheit, Ratlosigkeit, Angst, Trauer oder Resignation sorgen dafür, dass diese Phase für die Betroffenen nur schwer auszuhalten ist. Daher ist diese Phase auch bekannt als das „Tal der Tränen“.
Ideen für wirksames Leitungshandeln:
empathisch um die Situation der Menschen in dieser Situation wissen
verständnisvoll und zugewandt auf die artikulierten Befürchtungen oder Wünsche eingehen
rasch für Unterstützung, Beratung oder Fortbildung sorgen
eine Perspektive anbieten/gemeinsam entwickeln, wie es weitergeht – dies kann auch eine gemeinsame Zielvorstellung/Vision sein
Phase 5: Ausprobieren und Suchen
Phänomen: die (subjektiv) wahrgenommene Kompetenz steigt langsam, sinkt aber hin und wieder
Erklärung/Erkenntnis: Neue Verhaltensweisen werden ausprobiert, ausgewertet und angepasst. Die Kolleginnen und Kollegen machen sich auf den Weg ins Ungewisse und fassen idealerweise neuen Mut und frische Hoffnung. Diese Phase braucht ihre Zeit.
Ideen für wirksames Leitungshandeln:
Kolleginnen und Kollegen bestärken und generell eine Kultur der Ermutigung etablieren
eine Fehlerkultur schaffen, d.h. Fehler nicht nur in Kauf zu nehmen, sondern dazu ermutigen, Fehler zu machen – und gleichzeitig sicherstellen, dass alle Beteiligten aus den Fehlern gemeinsam lernen
variierende Geschwindigkeiten zulassen
Phase 7: Übernahme
Phänomen: die (subjektiv) wahrgenommene Kompetenz übersteigt das Niveau vor dem Schock
Erklärung/Erkenntnis: Erfolgreiche Verhaltensweisen und Methoden werden dauerhaft in das Handlungsrepertoire übernommen. Die Kolleginnen und Kollegen verspüren wieder eine schmerzhaft vermisste Selbstsicherheit und gehen mit gestärktem Selbstvertrauen in die Zukunft.
Ideen für wirksames Leitungshandeln:
weiterhin an der wertschätzenden Haltung festhalten und weiterhin stark auf Bestätigung und Wertschätzung achten
eine Feedback-Kultur aufbauen und langfristig strukturell verankern
Leitungsfeedback einholen
ein System kollegialer Hospitation etablieren
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