Im Gespräch

Veröffentlicht am: 05.09.2025

Lesezeit: 9 Minuten

Schulaufsicht zwischen Verwalten und Gestalten?

Alexander Kraft ist Leiter der Abteilung für Schulentwicklung und Schulaufsicht im Bildungsministerium Schleswig-Holstein. Um den bundesweiten Prozess zur Transformation der Schulaufsicht weiterzubringen, hat er als Mitglied der Arbeitsgruppe „Rolle und Arbeit der Schulaufsicht“ führend an der entsprechenden KMK-Empfehlung mitgewirkt.

Porträtbild von Alexander Kraft
Fotostudio studioline

Warum ist es jetzt an der Zeit, sich über ein neues Rollenverständnis von Schulaufsicht in Deutschland Gedanken zu machen?

Alexander Kraft: Wir sehen gerade große Prozesse, die durch Bund und Länder angeschoben werden. Insbesondere mit dem Startchancen-Programm haben wir ein nie dagewesenes, umfangreiches Maßnahmenpaket, das in den Ländern umgesetzt werden muss. Dabei kann die verantwortliche Steuerung nicht der einzelnen Schule überlassen sein, sondern es braucht jetzt Mittler, die dazu beitragen, dass die von den Schulen erarbeiteten Lösungen abgestimmt sowie mit allen Partnern vor Ort gut verabredet werden und kohärent sind. Diese Kohärenz kann nur eine Instanz stiften, die außerhalb der Schule ist, aber innerhalb des Systems. Das ist genau die Rolle der Schulaufsicht als Mittlerin zwischen der Politik, die Vorgaben macht und neue Programme initiiert, und den Schulen, die diese umsetzen sollen.

Worin besteht im Wesentlichen der Wandel zwischen diesen beiden Positionen? Was ist neu an der Herausforderung für die Schulaufsicht?

Alexander Kraft: Bezogen auf Schleswig-Holstein hatten wir einen sehr starken Fokus auf das, was vor Ort in der Schule passieren muss, weil dort die eigentliche Schul- und Unterrichtsentwicklung gestaltet wird. Was aber nicht so im Blick war: Gibt es auch gute gelingende Prozesse, die skalierbar sind und die in die Fläche ausgerollt werden können? Diese Erkenntnis ist in dieser Klarheit neu, das hat das Startchancen-Programm ergeben. Es braucht Ressourcen für spezifische Lösungen, aber vor allem braucht es abgestimmte Vorgehensweisen. Diese gilt es dann zu multiplizieren und die Startchancen-Schulen in einen Austausch miteinander zu bringen, damit sie voneinander lernen und die Umsetzungsideen teilen können.

Wir brauchen eine datenbasierte Strategieentwicklung

In welche Richtung wird sich Schulaufsicht noch mehr entwickeln? Und was braucht sie, um diese Herausforderung zu bewältigen?

Alexander Kraft: Die Rolle der Schulaufsicht verändert sich unter diesen Bedingungen insofern, als sie nicht mehr nur in Einzel- und Krisensituationen an die Seite der Schule tritt, sondern den Schulen insbesondere beratend und unterstützend zur Seite steht. Die Schulaufsicht muss einschätzen können: Inwiefern passt das, was an der einzelnen Schule passiert, zu den Erwartungen im Startchancen-Programm? Diese sind in den Ländern im Rahmen von Strategien für die Schul- und Unterrichtsentwicklung manifestiert. Die Schulaufsicht kommuniziert diese strategischen Ziele und die Programmerwartungen an die Schulen und versucht, den Abgleich herzustellen.

Neu ist außerdem, dass wir diese Arbeit jetzt immer stärker mit Hilfe von Daten evidenzbasiert machen können. Das heißt, wir können sehen, welche Wirkungen jeweils durch das schulische Handeln vor Ort eintreten und wie sich diese ändern, wenn wir etwas in der Schul- und Unterrichtsentwicklung verändern. Diese Wirkungsänderungen können wir von Jahr zu Jahr über einen längeren Zeitraum nachverfolgen.

Wir haben zudem mit der Datenbasierung auch eine Möglichkeit, Ziele noch klarer zu formulieren. Wir können anhand konkreter Daten mit den Schulaufsichten und den einzelnen Schulen zu guten Vereinbarungen kommen. Anschließend lässt sich überprüfen, ob und wie gut Ziele erreicht wurden und was etwaige Hinderungsgründe waren. Das ist ein neues Momentum, das die Arbeit der Schulaufsicht zukünftig noch stärker prägen und auch in eine engere Zusammenarbeit mit den Schulen bringen wird.

Ist die Schulaufsicht gut ausgestattet, um diese Aufgaben zu erfüllen oder braucht es noch Unterstützungsinstrumente?

Alexander Kraft: Was die Schulaufsicht vor allem braucht, ist die nötige Datenkompetenz, um überhaupt fachkundig mit Daten umgehen zu können und Schulen in der datengeleiteten Arbeit zu unterstützen. Das ist etwas, das alle zusammen noch lernen müssen, weil es ja ein neues Steuerungsmoment ist.

Weiterhin brauchen wir klare strategische Leitlinien. Wenn wir die nicht haben, dann ist am Ende das Handeln der Schulaufsicht und der Schulen doch wieder durch die alltäglichen Aufgaben bestimmt. Wir brauchen also dringend eine klare, strategische Zielsetzung, an der sich die Schulaufsichten und mit ihnen auch die Schulen orientieren können.

Synergien schaffen durch Kooperation

Neben den zwei genannten Rahmenbedingungen braucht es die nötige personelle Aufstellung der Schulaufsicht, um ihrer Aufgabe gerecht werden zu können. Das ist nicht nur eine Frage der Anzahl der Beratungen, sondern auch eine Frage der Organisation: Wohin lenke ich meine Arbeitskraft und wie kann ich meine Zeit gut einsetzen, um diesem Anspruch gerecht zu werden? Da schaffen wir im Miteinander mehrerer Schulen noch viele Chancen: Wenn ich eine Schule berate, dann kann ich davon ausgehen, dass andere Schulen vielleicht ein ähnliches Problem haben. Warum dann nicht in einer Gruppe von Schulen gemeinsam daran arbeiten? Da sind also noch Synergien, die wir heben können, wenn wir Schulen in eine Kooperation miteinander bringen, sei es auf der Ebene der Führungskräfte, indem wir eine kollegiale Beratung unter den Schulleitungen organisieren oder indem man sogar in ko-konstruktive Entwicklungsprozesse geht.

Ein Beispiel dazu: Wir haben in Schleswig-Holstein begonnen, das „Leseband“ flächendeckend an Grundschulen einzuführen. Da hat es sich als sehr nützlich erwiesen, wenn gleich ganze Gruppen von Grundschulen zusammen in den Prozess starten, weil sie dann nur einmal gemeinsam den Aufwand haben, sich ihre Vorgehensweise zu überlegen. Das beschleunigt die Kommunikation mit den Schulen sowie den Prozess enorm. Dort liegt also ebenfalls ein Schlüssel jenseits von personellen Ressourcen: einfach durch eine veränderte Vorgehensweise.

Können Sie etwas zum Prozess zur Rollenentwicklung der Schulaufsicht in der KMK erzählen? Wie geht es jetzt weiter?

Alexander Kraft: Bevor die KMK die Rolle der Schulaufsicht hinterfragt hat, gab es bereits einen intensiven Arbeitsprozess zum Anforderungsprofil für Schulleiterinnen und Schulleiter von der Kommission für Lehrkräftebildung. Gleiches ist für die Schulaufsichten notwendig, weil diese als Vorgesetzte der Schulleitungen agieren und weil sie teils ähnliche Aufgaben haben, teils aber eben auch die Schulleitungen in ihrer Arbeit unterstützen. Klar wurde: Es gibt bisher kein Leitbild für Schulaufsichten bei der KMK. Tatsächlich gab es nur sehr wenige Texte zum Thema Schulaufsicht. Entsprechend war der Arbeitsauftrag, ein solches Rollenbild oder eine KMK-Empfehlung zur Rolle und Arbeit der Schulaufsicht zu entwerfen, also länderübergreifend. In diesem Arbeitsprozess haben wir zusammengestellt, was eigentlich der Kern guten schulaufsichtlichen Handelns ist.

Auf die Haltung kommt es an

Wir konnten feststellen, dass das zunächst eine Frage der Haltung ist: Wie die Schulaufsicht agiert und den Schulleitungen begegnet, bestimmt ihre Haltung und Wirkung. Ein abgestimmtes Verständnis über diese Haltung ist die Basis für die drei übergeordneten Ziele, die es zu verfolgen gilt:

  1. anspruchsvolle Leistungen in Schule zu ermöglichen, das heißt jedem Schüler, jeder Schülerin individuell das bestmögliche Leistungsziel zu ermöglichen,
  2. Chancengerechtigkeit zu erhöhen: Schule ist die Instanz, die helfen kann, unabhängig vom sozialen Hintergrund für einen chancengerechten Start in unserer Gesellschaft beizutragen. Hier sollen alle Kinder ihre Bildungsziele erreichen können und danach handlungsfähig sein, Gesellschaft mitzugestalten, sei es im Beruf oder auch im gesellschaftlichen Engagement, und
  3. das Wohlbefinden als Ausgangsgrundlage für gutes Lernen zu vergrößern. Das gilt für Schülerinnen und Schüler genauso wie für alle anderen, die in Schule tätig sind, denn ohne Wohlbefinden ist kein gutes Lernen möglich.

Die Haltung der Schulaufsicht muss dadurch bestimmt sein, genau diese drei Ziele in Schule zu verwirklichen und bei allem schulischen Handeln immer im Blick haben: Zahlt das auf die Ziele ein?

Neben der Haltung beschäftigt sich die KMK mit der Frage, was konkret die Aufgaben der Schulaufsicht sind. Die bisherigen gesetzlichen Regelungen beziehungsweise eine Vereinbarung der Länder zur Grundstruktur des Schulwesens besagen auf einer sehr übergeordneten Ebene, dass die Schulaufsicht die Dienst-, Fach- und Rechtsaufsicht über die Schulen leistet. Aber in der Rolle der Schulaufsicht steckt eben viel mehr, zum Beispiel, dass es eine pädagogische Verantwortung dafür gibt, wie die Schulentwicklung gestaltet wird, damit die übergeordneten Ziele erreicht werden können. Diese Aufgaben sollen näher ausgeführt werden, damit sich alle daran orientieren können.

Es braucht das ganze Dorf, um Schule zum Erfolg zu machen

Und drittens braucht Schulaufsicht die nötigen Kompetenzen. Über den souveränen Umgang mit Daten sprachen wir bereits. Als weitere Kernkompetenz muss die Schulaufsicht in der Lage sein, mit anderen Institutionen und mit allen Partnerinnen und Partnern von Schule tragfähige Arbeitsbeziehungen zu initiieren, aufzubauen, sie zu gestalten und dafür Sorge zu tragen, dass die Beziehungen von Vertrauen und Transparenz getragen sind, sodass alle vor Ort in der Schule gut miteinander arbeiten können. Es braucht sozusagen das ganze Dorf, um die Schule zum Erfolg zu machen. Weiterhin muss die Schulaufsicht Feedback geben, sie muss wertschätzend kommunizieren und sie muss für klare Auftragslagen sorgen können. Wenn es beispielsweise darum geht, ein „Leseband“ landesweit einzuführen, dann muss die Schulaufsicht den Schulen entsprechend kommunizieren können, was konkret der Auftrag und wie dabei der Gestaltungsspielraum der Schule ist.

Abschließend stellt sich die Frage: Wie kann die Schulaufsicht gezielt unterstützt werden, um ihre Ziele zu erreichen? Ich glaube, es ist in der Auseinandersetzung über die Rolle und Arbeit der Schulaufsicht sehr deutlich geworden: Es braucht spezifische Qualifizierungen. Diese sind je nach Bundesland unterschiedlich ausgeprägt – teils auf dem Niveau von Schulleitungsprogrammen, teils noch stark an allgemeine Führungskräftefortbildungen angelehnt. Erforderlich ist eine gezielte Stärkung passgenauer Qualifizierungen, die der besonderen Rolle der Schulaufsicht gerecht werden.

Um die genannten Themen zur Rolle und Arbeit der Schulaufsicht in einer KMK-Empfehlung darzustellen, hat sich die Amtschefkommission vorgenommen, im September über ein Papier der Schulkommission zu beraten. Danach werden wir sehen, ob wir eine KMK-Empfehlung als Grundlage haben, an der wir dann abgestimmt zwischen den Ländern weiterarbeiten können. Beispielsweise kooperieren die Länder Hamburg und Schleswig-Holstein aufgrund der räumlichen Nähe bereits eng, führen gemeinsame Qualifizierungen für Schulaufsichten durch und planen zukünftig noch mehr. Ich bin gespannt, welche Prozesse noch in den Ländern und vor allem der Länder gemeinsam angestoßen werden.

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