„Wir stehen noch ganz am Anfang“, berichtet Schulleiter Carsten Haack. „Wir suchen nach einem verbindlichen Rahmen für unsere Arbeit, den wir uns selbst setzen. Es soll sich viel verändern!“ Als sogenannte Perspektivschule in sozial herausfordernder Lage hatte die Kieler Ganztagsschule lange Zeit den Fokus auf Sprachförderung, Pädagogik und ein gutes Unterstützungssystem gelegt. In diesen Bereichen konnte das Team der Schule bereits viele Entwicklungen anstoßen und Lösungen finden. Daher steht nun ein Paradigmenwechsel an: Die Unterrichtsentwicklung soll zum Dreh- und Angelpunkt der gemeinsamen Arbeit werden.
Beteiligungsprozess starten
Zu Beginn des Schuljahres 2021/2022 fand in der Schule eine Zukunftskonferenz statt. Dabei setzte sich das Kollegium mit der Frage auseinander, wie es sich die Schule im Jahr 2030 vorstellt. In Arbeitsgruppen haben insgesamt 80 Kolleg:innen ihre Visionen entwickelt. „Wir haben uns das gegenseitig vorgestellt und festgestellt, dass wir ein relativ kongruentes Bild davon haben, dass wir unseren Unterricht weiterentwickeln und uns professioneller aufstellen müssen“, sagt Carsten Haack.
An einem zweiten Tag formulierten sie, wie das aussehen und gelingen könnte. „Unsere Idee fiel dann wie ein Apfel vom Baum.“ Gemeinsam möchte das Kollegium die schulinternen Fachcurricula so gestalten, dass es sie daten- und erfahrungsgestützt weiterentwickeln kann. Ein Grund dafür war die Erfahrung aus der Pandemiezeit, dass transparente, schulinterne Standards für den Unterricht veraltet waren.
Schulinterne Fachcurricula überarbeiten und eine digitale Plattform aufbauen
Schulleiter Haack beschreibt, dass bislang jede:r im Kollegium immer eigene Antworten auf die gleichen Fragen gesucht hat: Welches ist das nächste Thema? Welche Kompetenzen wollen wir fördern? Wie viel Zeit brauchen wir dafür? Mit welchem Material arbeiten wir? Wie soll das leistungsüberprüft werden? Wie können die Kinder gut üben?
Das Kollegium startet nun einen Überarbeitungsprozess der schulinternen Fachcurricula. Entstehen soll ein Dokumentenmanagementsystem – eine schulinterne Website – mit zwei Schwerpunkten:
- Themen und Inhalte: Alle Lehrkräfte wissen voneinander, was die Kinder in welchem Fach zu welchem Zeitpunkt mit welchem Ziel lernen.
- Kompetenzen: Alles Lehrkräfte wissen, welche fachlichen und überfachlichen Kompetenzen wann und wie vermittelt werden, z. B. Medienkompetenz.
Ziel ist es, in diesem digitalen Tool für jede Jahrgangsstufe und für jedes Fach einzelne Themen festzulegen, die in einem bestimmten Zeitraum bearbeitet werden müssen.
Alles, was in dem Dokumentenmanagementsystem hochgeladen wird, soll idealerweise inhaltlich geprüft werden. Dazu zählen Unterrichtsmaterialien, Erklärvideos und Übungsmaterialien. Denkbar wäre, dass eine Person aus der Fachschaft eine Patenschaft übernimmt und die Qualität der Materialien prüft. „Es ist ein Haufen Arbeit, aber es wird dafür sorgen, dass alles gut miteinander abgestimmt ist“, sagt Carsten Haack. Dabei geht es aus
seiner Sicht keineswegs darum, den Lehrer:innen vorzuschreiben, wie sie ihren Unterricht methodisch gestalten sollen. „Es soll ein Ermöglichungsrahmen sein!“
Daten erheben und auswerten
Mithilfe von datenbasierten Leistungsüberprüfungen möchten Carsten Haack und sein Kollegium das schulinterne Fachcurriculum als Arbeitsgrundlage nutzen und dauerhaft weiterentwickeln. Die Fachschaften legen selbst fest, wie sie am Ende des Schuljahres bzw. am Anfang des Folgejahres Bilanz
ziehen. Das soll in Form von Diagnosetests bzw. Jahresabschlussarbeiten erfolgen, denn so lassen sich die Ergebnisse der verschiedenen Klassen einer Jahrgangsstufe nebeneinanderlegen. Geplant ist auch, die Ergebnisse der Leistungsüberprüfungen zu monitoren und auszuwerten.
Dabei geht es u. a. um diese Fragen:
- Kommt das, was wir in einem bestimmten Zeitraum vermitteln wollen, bei den Kindern an?
- Was bleibt kurz- und auch langfristig bei den Kindern hängen? Und was nicht?
- Was machen wir ggf. konzeptionell in der Anlage unseres Unterrichts falsch?
- Welche Schlüsse ziehen wir daraus für die Unterrichtsentwicklung und die weitere Förderung jedes einzelnen Kindes?
„Es nützt nichts, sich darüber zu beklagen, dass die Schülerinnen dieses und jenes nicht verstehen. Wir müssen unsere Arbeit hinterfragen und Unterrichtskonzepte ändern, sodass sie es verstehen“, sagt der Schulleiter. „Auf der anderen Seite können wir hinter die Themen, die in den Leistungsüberprüfungen zu positiven Ergebnissen führen, einen Haken machen.“
Eine weitere Ebene der datenbasierten Entwicklungsarbeit sind landesweite Vergleichsarbeiten. Dabei lassen sich die Daten der Schülerinnen und Schüler überprüfen und in einen Bezugsrahmen setzen, der über die Schule hinausgeht. Es sollen jedoch nicht ausschließlich harte Notendaten erhoben werden: „Wir möchten auch schauen und ausprobieren, wie Daten unabhängig von Noten aussehen können, z. B. in Form von Kompetenzrastern“, erläutert Carsten Haack. Das hätten sie sich im Rahmen ihrer Teilnahme am Programm „LiGa – Lernen im Ganztag“ vorgenommen.
Fachschaftsarbeit unterstützen
Doch bevor das Kollegium anhand von Daten den Unterricht weiterentwickeln kann, werden nun zunächst die schulinternen Fachcurricula überarbeitet. Die Fachkonferenzen legen sukzessive für jedes einzelne Fach fest, welche Themenbereiche in den einzelnen Jahrgängen in welcher Reihenfolge verbindlich behandelt werden sollen. Details zu den einzelnen Themen – Unterthemen, Materialien, Erklärvideos etc. – werden auf der schulinternen Website gut sortiert hinterlegt. Dazu gehören auch Informationen zu folgenden Aspekten: inhaltsbezogene Kompetenzen, Hilfsmittel, Fachbegriffe, Muster für Leistungsüberprüfungen, Methoden, Lebensweltbezug, Erfahrungen und Schwierigkeiten. „Damit den Kolleg:innen die Wertigkeit eines solchen Prozesses auch deutlich wird, sind ein gemeinsames Ziel und ein Unterstützungssystem seitens der Schulleitung wichtig“, betont Carsten Haack. Daher sind die Fachschaften nicht auf sich allein gestellt, sondern werden durch das Schulleitungs-Team bei allen Treffen eng begleitet – wenn erforderlich auch mit externer Moderation. Eine Steuergruppe soll darüber hinaus den Gesamtprozess im Auge behalten.
Eine gemeinsame Haltung entwickeln
Über 90 Prozent des Kollegiums stehen hinter dem Entwicklungsvorhaben. Mit einem Abfrage-Tool des Landesinstituts konnten alle Kolleg:innen nach der Zukunftskonferenz anonymisiert befragt werden. So ließen sich mögliche Stolpersteine identifizieren, aber es zeigte sich auch, dass nahezu alle diesen Weg gut finden und gehen möchten. „Es ist von der Haltung abhängig, ob man so arbeiten möchte oder nicht. Und das ist eine echte Leitungsaufgabe“, stellt Carsten Haack fest. „Es hat ein paar Jahre gedauert und brauchte einen langen Atem bis zu diesem Punkt, an dem wir nun endlich alle in die gleiche Richtung denken.“
Dieser Text erschien in der Ausgabe 1/2022 „Datengestützte Schulentwicklung“ der Leit-IDEEN, einer Publikation von „LiGa – Lernen im Ganztag“.