Einladung zum Dialog

Dezember 2017 – Führungskräfteakademie Halberstadt, Sachsen-Anhalt: Nach drei Tagen Diskussion, Austausch und Vernetzung von Schulleitenden und Schulaufsicht des Landes steht eine neue und eher ungewöhnliche Einladung im Raum: ein kontinuierlicher, lösungsorientierter Dialog aller relevanten Akteure zu Rahmenbedingungen digital-vernetzten und individuellen Lernens. Ziel ist es, für die Herausforderungen rund um das Thema gemeinsam praxistaugliche Lösungen bezogen auf Nutzung und Ausstattung zu finden. Denn zur Umsetzung der KMK-Strategie „Bildung in der digitalen Welt“ und der schrittweisen Einführung, vollständigen Implementierung und Weiterentwicklung des digital-vernetzten Lernens an Schule, so sind sich Schulleitende und Schulaufsichten einig, ist ein beständiger und in erster Linie an pädagogischen Fragen ausgerichteter Austausch unabdingbar. 

Der in Halberstadt erstmals im großen Rahmen von über 100 Schulleitenden und Schulaufsichten diskutierte Entwurf einer Leitlinie des Landes zum digital-vernetzten Lernen führte zu einigen Diskussionen und brachte aber genau dadurch auch den Stein ins Rollen. 

Torsten Klieme, Referatsleiter des Bereichs Sekundar- und Gemeinschaftsschulen im Landesschulamt Sachsen-Anhalt, erinnert sich:

In Halberstadt wurden erstmals die richtigen Fragen gestellt. Sprich `Wer hat eigentlich mit dem Prozess des digital-vernetzten Lernens zu tun? Wen braucht es demnach, um diesen Prozess zu einem ganzheitlichen und guten Prozess zu machen, der am Ende unter dem Begriff Schulentwicklung laufen kann? Und da sind wir damals zu dem Ergebnis gekommen, dass es mindestens drei Akteure sind. Das ist erstens die Schule selbst und die Schulleitung, zweitens der Schulträger – der für die sächliche Ausstattung zuständig ist  und drittens das Unterstützungssystem – die Schulaufsicht und das Landesinstitut – sprich die Fortbildung, die die Akteure in die Lage versetzen muss, mit dem, was auf der technischen Seite passiert, umgehen und arbeiten zu können. Und es hat sich in Halberstadt eine Gruppe von Akteuren zusammengefunden, die damals quasi eine informelle Struktur gebildet haben, um das abzubilden, was vorher diskutiert wurde. Nämlich, dass alle relevanten Akteure tatsächlich gemeinsam systematisch an der Frage arbeiten, wie digital-vernetztes Lernen in Schulen entwickelt werden kann. Und es war von Beginn an eine bunte Mischung. Wir hatten Schulleitungen dabei, Schulaufsicht, Schulträger, IT-Fachleute und die DKJS mit dem Programm LiGa, die so ein bisschen die Rolle des „Supervisors“ übernommen hat. Denn wir wissen alle: Netzwerke funktionieren nicht ganz von allein. Es braucht immer etwas Unterstützung, Strukturierung und auch gute Anlässe, um sich treffen zu können.“

Das Netz wurde kontinuierlich weiter gespannt

Knapp drei Jahre später ist viel passiert. Inzwischen gab und gibt es Fachdialoge, die als festes Veranstaltungsformat für Steuerungsakteure in den Regionen unter anderem in den Landkreisen Börde, Wittenberg und Harz durchgeführt werden. Doch nicht allein das. Das multiprofessionelle Fachnetzwerk hat sich nunmehr als feste – jedoch für weitere Interessierte jederzeit offene – Gruppe von Schulleitenden, Lehrkräften, Vertretern der Schulaufsicht und externen Partnern etabliert, das sich weit über das Format der Fachdialoge hinaus engagiert. Neben Werkstätten mit Fachleuten auf dem Gebiet des schulbezogenen Einsatzes von Computer und Internet, haben sich zum Beispiel Beratungen an und von Einzelschulen als feste Größe etabliert. Die Mitglieder des Fachnetzwerkes unterstützen unter anderem bei Pilotversuchen Open-Source-basierter Geräte-, WLAN- und Nutzerverwaltung in Zusammenarbeit mit Experten und Schulleitungen aus der Schweiz und aus Finnland. Auch konzipieren sie zeitgemäße Fortbildungen – etwa zu Live-Unterricht und weiteren digitalen Formaten, zu Ansätzen wie „Schüler qualifizieren Lehrkräfte“ oder der Ausbildung von Medienscouts an Schule. 

Und auch im Fachdiskurs meldete sich das Netzwerk mehr und mehr zu Wort. Im Sommer 2018 wurde ein Positionspapier veröffentlicht, das u.a. die Forderung nach einer IT-Grundausstattung für Schulen unabhängig vom medienpädagogischen Konzept beschreibt und Ableitungen für eine sinnvolle Förderpolitik trifft. 

Nicht zuletzt dieses Positionspapier verschaffte dem Netzwerk größere Aufmerksamkeit und so folgten der Einladung zum Neujahrsempfang des Fachnetzwerks Anfang 2019 der Landesschülerrat, Elternvertretungen, Schulen, Schulaufsicht, Schulträger, Vertreterinnen und Vertreter des Ministeriums für Bildung, kommunale, kreisweite und landesweite Politik sowie außerschulische Partner und Vertreterinnen und Vertreter der Wirtschaft. Wiederum positionierte sich das Fachnetzwerk zu guten Rahmenbedingungen digitaler Schulentwicklung, die allein nach der Maßgabe von Praxistauglichkeit, Nachhaltigkeit und unter Beachtung sowie Vergegenwärtigung eines gemeinsamen pädagogischen Verständnisses zu schaffen seien. Nur so könne Schule ihren Auftrag erfüllen und Kinder und Jugendliche zu selbstbestimmten, mündigen Bürgern in einer digital-vernetzten Lebenswelt bilden.

Die Forderungen und Ausführungen des Fachnetzwerkes stießen auch auf bildungspolitischer Ebene auf Resonanz. So wurden im Sommer 2019 fünf Mitglieder des Fachnetzwerkes zu einem Fachgespräch des Ausschusses für Bildung und Kultur des Landtages Sachsen-Anhalt zum Thema Herstellung praxistauglicher und effizienter IT-Schulstrukturen und Konsequenzen für eine darauf ausgerichtete Förderpolitik des Landes als Experten geladen. 

Auch die Leitlinien zur IT-Ausstattung an Schulen des Landes Sachsen-Anhalt enthalten mittlerweile in der aktualisierten Fassung vom Herbst 2019 explizit Hinweise zu freier und Open-Source-Software sowie alternativen Schulsystemen aus Erprobungssettings und der weiteren Arbeit im Rahmen des Fachnetzwerkes.

Aber der Weg dahin war nicht immer einfach, wie Torsten Klieme berichtet: 

Wir mussten einiges lernen. Erstens: Unterschiedliche Perspektiven sind eben auch unterschiedliche Perspektiven. Sie sind nun mal da. Zweitens: Unterschiedliche Perspektiven gehen auch mit einer unterschiedlichen Sprache einher. Wir haben nach meiner Auffassung mindestens zwei Jahre gebraucht, um eine gemeinsame Sprache zu finden. Die IT-Seite musste verstehen, was Pädagogik ist und welche Anforderungen Schule hat. Und wir als Schulseite mussten lernen, was IT und Digitalisierung meint und nach welchen Gesetzmäßigkeiten das abläuft. Was im Fachnetzwerk aber immer zu beobachten war, war der ernsthafte Wille aller Beteiligten, diese Lernprozesse tatsächlich mitzumachen und sich zu entwickeln. Und das für mich in wirklich beispielhafter Art und Weise.“

Den Dialog in neuer Form weiterführen

Um dem Engagement des Fachnetzwerkes neue Wege zu eröffnen und damit dem Transfergedanken des Programms "LiGa – Lernen im Ganztag" Rechnung zu tragen, wurde von einem „harten Kern“ des Fachnetzwerkes bereits Anfang 2020 ein weiterer Schritt vollzogen und der Verein konzept:schule e.V. gegründet. 

Ziel des Vereins ist es, Schulentwicklung positiv zu unterstützen und voranzutreiben. Laut Satzung stehen unter anderem 

  • das Eintreten für eine Stärkung der Eigenverantwortlichkeit von Schule
  • die Gestaltung von Schule als individualisierter Lern- und Lebensraum 
  • die Schaffung von angemessenen Rahmenbedingungen für eigenverantwortliches Lernen 
  • die Förderung des digital-vernetzten Lernens in allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen 

auf der zukünftigen Agenda. 

Mitunter können in der neuen Form so auch neue Wege gegangen werden. Ein erster Schritt wurde hier bereits getan: Unter dem Motto „#DIGITALGEGENCORONA – Geschichten aus Sachsen-Anhalt“ lobte das Ministerium für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitalisierung des Landes Sachsen-Anhalt Anfang April einen Preis aus. Gesucht wurden digitale Anwendungen, welche die Lebensqualität der Menschen in Sachsen-Anhalt in Corona-Zeiten stärken, wie etwa virtuelle Arbeitsräume und Treffpunkte oder auch neue Lehr- und Lernformen. Seit Mitte Mai steht fest: Das Fachnetzwerk digital-vernetztes Lernen im Verein konzept:schule e.V. belegte in der Kategorie „Dienstleistung, Handel und Verwaltung“ den ersten Platz. Mit der Einreichung zum Open-Source Based Rethought Communcation Tools (OpenReACT) — einer Open-Source-Gesamtlösung, bestehend aus Komponenten für Audio- und Videokonferenz, datenschutzkonformem Messenger und kollaborativer Onlineplattform konnte es überzeugen.
Neben der Arbeit des größeren Fachnetzwerkes, die im Rahmen der Programmlaufzeit fortgeführt wird, hat sich demnach bereits jetzt eine kleinere, unabhängige Struktur als langfristige Institutionalisierung des Fachnetzwerkes herausgebildet. Dies bietet die Möglichkeit, mehr und mehr koordinierende Aufgaben an die Zielgruppen des Programms „LiGa – Lernen im Ganztag" abzugeben. Auch kann diese Plattform nach der Programmlaufzeit weitere Unterstützungsressourcen bündeln und in das Anliegen des Fachnetzwerkes einbringen.

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