In welcher Rolle sehen Sie sich selbst als Schulaufsicht?

Sören Messerschmidt: Bei dieser Frage schwingt im Hintergrund mit: Was bist du für einer? Bist du ein Top-down-Mensch oder bist du ein Bottom-up-Typ? Einfach nur das eine oder das andere sein zu wollen, wird jedoch nicht funktionieren. Ich versuche das mal bildlich zu machen: Wenn ich mit jemandem beim Tanzen ´ne flotte Sohle aufs Parkett legen will, dann müssen wir beide einerseits gemeinsam tanzen – gleichberechtigt und auf Augenhöhe. Manchmal führt der eine, mal der andere. Darüber kann man sich noch austauschen. Andererseits braucht auch jeder seinen Tanzbereich, weil man sich ansonsten in die Quere kommt. Dieses Bild passt für mich besser als die Vorstellung von Top-down oder Bottom-up. Klar, jeder in seiner Verantwortung – aber gemeinsam.

Aus meiner Sicht gibt es in der Schulaufsicht drei Ebenen, auf denen man agieren kann. Diese sind historisch gewachsen und aus den unterschiedlichen Tätigkeitsprofilen in dem System heraus entstanden. Erstens Inspektion, zweitens systemischer Koordinator oder drittens Supervisor von Schulentwicklung.

Diese drei Stufen finde ich auch in den entsprechenden Handlungsweisen und Typen der Schulleitungen wieder. Erstens „Befehlsempfänger“, zweitens Richtlinienumsetzer und drittens Innovator von Schulentwicklung.

Wie finden Schulleitung und Schulaufsicht auf diesen unterschiedlichen Ebenen zueinander?

Sören Messerschmidt: Dazu muss ich erstmal schauen, wie ich mit den Schulleitungen umgehen kann. Mit dem Blick auf die drei Ebenen sehe ich manchmal schlechte Passungen, weil die gegenseitigen Erwartungen nicht stimmen, wenn der Partner nicht auf derselben Ebene agiert. Gerade am Anfang habe ich erlebt, dass Schulleitungen erwartet haben, dass ich als Inspektor oder als Koordinator komme. Ich selbst begreife mich eher als Dienstleister für die Schulen und vielleicht noch als der, der Entwicklung anstupst, aber nicht als der, der sie anordnet oder durchführt. So begleite ich beispielsweise den regelmäßigen Fachaustausch von Schulleitungen im Rahmen der „Digitalen-Denkfabrik-Reihe“ in LiGa-Sachen-Anhalt. Indem man sich auf dieselbe Ebene begibt, wird eine kommunikative Passung ermöglicht. Erst dann können wir gemeinsam darüber nachdenken, was man inhaltlich machen will. 

Um es mit John Hattie zu sagen: Zuerst muss die Beziehungsebene stehen, bevor ich darüber nachdenken kann, Inhalte zu transportieren. Das gilt nicht nur für den Unterricht, sondern auch für die Zusammenarbeit von Schulaufsicht und Schulleitung.

Wie gestalten Sie die Beziehungsarbeit in der Praxis, sodass sie auch fruchtbar ist?

Sören Messerschmidt: Ich bleibe erstmal bei mir. Man muss als Führungskraft über seine Führungsqualitäten nachdenken. Meine wichtigste Führungseigenschaft ist die eigene Haltung – und nicht die Vorbildwirkung. Wenn ich Vorbild bin, heißt es schon wieder, dass ich über anderen stehe und klüger oder besser bin. Sie glauben vielleicht ich erwarte von ihnen, dass sie mir nacheifern sollen. Mit einer selbstreflexiven Haltung gebe ich den anderen aber die Möglichkeit das zu reflektieren, was sie in mir sehen.

Nur von Haltung allein zu sprechen ist natürlich etwas unspezifisch. Den Anspruch an mich selbst kann ich mit drei Punkten benennen: Verantwortung, Mut und Authentizität. Verantwortung ist in diesem Sinne, dass ich Probleme nicht an andere weitergebe, sondern ich treffe Entscheidungen für mich und im zweiten Schritt auch für andere. Mut heißt einfach, dass ich auch für das einstehe, was ich entschieden habe. Authentisch zu sein, bedeutet für mich, ich selbst zu sein, wenn ich mit Schulleitungen umgehe. Das heißt, keine Charaktermaske aufzusetzen. Meine Methode ist also, ich selbst zu sein. Das beeinflusst dann auch die Haltung meines Gegenübers.

Ein Beispiel ist die Fehlertoleranz: Wenn man selber eine Fehlerkultur lebt, bekommt man auch von den anderen Offenheit und Transparenz zurück. Wenn ich zu konkreten Fragen oder Problemen angerufen werde, kann ich nicht immer alles beantworten. Wenn sie so ein ehrliches Agieren erleben, dann treten mir die Leute auch ehrlich gegenüber.

Wie unterstützen Sie schulische Entwicklungsvorhaben?  

Sören Messerschmidt: In die Details der Umsetzung hänge ich mich nicht rein. Sonst würde ich wieder in die Inspektions- und Kontrollebene fallen. Auch wenn es natürlich spannend ist, Details zu erfahren. Aber die interessieren mich eher auf inhaltlicher Seite und nicht in der letzten organisatorischen Konsequenz. Selbstverständlich ist es in meiner Gesamtverantwortung wichtig zu wissen, was passiert. Aber es ist nicht in meinem Sinne den Schulen vorzuschreiben, ob sie es richtig oder falsch machen. 

Ich halte es für sehr wichtig, dass die Schulen genau diese Freiheit haben. Ich sehe die Rolle der Schulaufsicht nicht darin, irgendwo anzurufen und zu sagen: „Ihr müsst jetzt genau dieses Modell bei euch umsetzen.“ Sondern es ist eher das Gegenteil. Ich sehe meine Rolle darin, den Schulen Freiräume zu schaffen, ihnen den Rücken freizuhalten und ihnen zu ermöglichen, Verantwortung zu übernehmen. Sie auch mal anzustupsen – also Impulse zu setzen – ist das, was ich tun kann und möchte.

Haben Sie dafür ein konkretes Bild vor Augen?

Ich habe heute im Radio den Titel „Du musst gar nix“ gehört. [Die Sterne] In einem Vers hieß es „Nur wenn dir neuerdings Flügel wachsen, musst du noch lange nicht fliegen. Du musst ja auch nicht laufen, nur weil du Beine hast.“ Ich glaube, das zeigt es sehr deutlich. Die Schule muss nicht irgendwas tun, nur weil ich von außen sehe, dass sie es vielleicht tun könnten. Wichtig ist, dass sie selbst fliegen. Meine Aufgabe wäre es – um bei diesem Bild zu bleiben – dabei zu unterstützen, dass die Flügel wachsen können, dass die Bedingungen da sind, dass man fliegen lernt. Aber fliegen müssen sie dann selbst. Und sie müssen selbst entscheiden, wohin sie fliegen wollen.

Zur Person:

Dr. Sören Messerschmidt ist seit zehn Jahren in der Schulaufsicht tätig. Als schulfachlicher Referent des Landesschulamts Sachsen-Anhalt ist er seit fast zwei Jahren für zwanzig Sekundar- und Gemeinschaftsschulen in zwei Landkreisen zuständig: Altmarkkreis Salzwedel und Landkreis Stendal
Bei seiner Arbeit kommen ihm seine bisherigen Praxiserfahrungen als ausgebildeter Grundschullehrer und Förderschullehrer sowie seine Zeit in der Erwachsenqualifizierung zugute.

Sören Messerschmidt
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