Wie sieht aus Ihrer Perspektive die zukünftige Rolle der Schulaufsicht aus?

Jürgen Oelkers: Schulen brauchen für ihre Entwicklungsaufgaben Unterstützung in Form von Beratung. Inzwischen liegen vielfältigste Beratungsangebote vor, man könnte auch von einem Überangebot sprechen, das für ungeordnete Verhältnisse sorgt. Die künftige Form der Aufsicht ist daher nicht einfach eine Beratungsvariante und sie hat den Vorteil der institutionellen Verknüpfung. McKinsey kann das nicht, ebenso wenig Psychotherapeuten oder Programme von Stiftungen, die sich mehr oder weniger gut nutzen lassen.

Wobei brauchen Schulen besondere Unterstützung und Beratung?

Jürgen Oelkers: Das Hauptproblem jeder Einzelschule ist die kollegiale Schulentwicklung, also das gemeinsame Verfolgen von Zielen, die vom Gesamtkollegium getragen werden. Die künftige Aufsicht sollte die kollegiale Schulentwicklung ermutigen und unterstützen. Sie wäre so Teil der Profession und nicht primär Kontrollorgan. Aufsicht heißt dann Moderation der Erfahrungen verschiedener Schulen und Organisation des Austausches zwischen Schulen mit ähnlichen Anliegen.
Eine solche Instanz existiert bislang nicht. Sie würde voraussetzen, Aufsicht nicht länger nach Schulformen zu unterscheiden, sondern so zu organisieren, dass Schulen für ihre Entwicklung Beratungs- und Unterstützungssysteme abrufen können. Aufsicht ist nicht Teil der Weiterbildung, sondern dient tatsächlich der Entwicklung und dem Austausch zwischen einzelnen Schulen. Gute Schulen müssen ihre Erfahrungen weitergeben können und Schulen mit Defiziten müssen Gelegenheit erhalten, sich zu verbessern. Die Fiktion, dass alle Schulen gleich sind, wird preisgegeben. 

Für welche konkreten Aufgaben wäre die Schulaufsicht demzufolge zuständig?

Jürgen Oelkers: Die Qualitätssicherung durch Datenerhebung spielt dabei eine wichtige Rolle, soweit Schulen diese nicht selbst durchführen können. Insbesondere der Vergleich mit anderen Schulen sowohl im Leistungsbereich als auch in den anderen Dimensionen der Schulqualität kann nicht von den einzelnen Schulen besorgt werden. Evaluationen aber müssen sich für die Schulen lohnen, was nicht durch die bloße Weitergabe von Befunden aus Vergleichsstudien erreicht werden kann.  

Eine bleibende Aufgabe der Schulaufsicht ist die Beratung in Fragen der Fachlichkeit, insbesondere im Blick auf die Vorgaben der Lehrpläne oder der Bildungsstandards. Hier sind die Schulen nicht einfach frei, aber sie müssen auch Gelegenheit erhalten, Lehrpläne oder Standards so umzusetzen, dass sie auf die örtlichen Verhältnisse und Zielsetzungen passen. Aufsicht hieße dann gezielte Hilfe bei der Umsetzung der staatlichen Vorgaben und darauf bezogen wiederum Austausch von Erfahrungen.

Schließlich bleibt die Frage, wer die unvermeidlichen Konflikte im Schulsystem bearbeiten soll. Hier ist einerseits juristische Expertise gefragt, die schon immer die Schulaufsicht ausgezeichnet hat. Andererseits muss es eine Schiedsstelle geben bei allen Konflikten, die Schulen nicht selber lösen können. Die Sicherung des rechtlichen Rahmens ist eine weiterhin vorrangige Aufgabe der Schulaufsicht.

Welche Rolle spielen gute Beispiele?

Jürgen Oelkers: Gute Beispiele entstehen mit guten Ideen und müssen in der Praxis überzeugen, also brauchen nicht den Segen einer pädagogischen Theorie. Schulentwicklung ist nicht die Umsetzung einer Theorie; wie man es am besten macht – das Know-how – entsteht im Prozess und mit der Entwicklung. Es setzt sich aus vielen Quellen und Erfahrungen zusammen, ist also eklektisch und muss vor Ort bestehen. 

Schulen sind tatsächlich „lernende Systeme“, doch für sich genommen ist das trivial; entscheidend ist, wie sie lernen, von wem sie lernen und was sie davon für ihre Entwicklung wirklich brauchen können. Erst unterwegs sieht man, wie weit die Visionen zu Beginn tatsächlich getragen haben. An solchen Aufgaben sollte man die Schulaufsicht beurteilen und bewerten können.

  • Erscheinungsdatum: 25.05.2020
  • LiGa

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