Die Schulaufsicht wurde als Zielgruppe von Programmen, aber auch in der Forschung lange Zeit vernachlässigt. Im Programm „LiGa – Lernen im Ganztag“ sind Mitarbeitende der Schulaufsicht bereits seit 2016 aktiv beteiligt und nehmen beispielsweise an Weiterbildungsformaten teil, insbesondere im Bereich der systemischen Beratung. Die LiGa-Studie „Beratende Schulaufsicht“ (BeSa) sowie Evaluationsergebnisse des Programms liefern Daten und Erkenntnisse, welche Rolle die Beratung in der Zusammenarbeit von Schulaufsicht und Schulleitung spielt.

Auch wenn sich in Deutschland zunehmend das Prinzip der ‚eigenverantwortlichen Schulen‘ etabliert, so stehen Schulen dennoch weiterhin unter der Kontrolle der Schulaufsicht. Diese Kontrollfunktion lässt sich aufgliedern in die Fachaufsicht über die Schulen, die Dienstaufsicht über die Lehrkräfte und das sonstige pädagogische Personal sowie die Rechtsaufsicht über die Schulträger hinsichtlich der Aufgaben der äußeren Schulverwaltung.

Doch seit der Jahrtausendwende wurde das Aufgabenfeld der Schulaufsicht in allen Bundesländern sukzessive erweitert. Dabei kristallisierte sich insbesondere eine zweite zentrale Aufgabe heraus: die Unterstützung bei der Schulentwicklung einschließlich der Beratung von Schulen. Dies findet sich in vielen Schulgesetzen als festgeschriebene Aufgaben der Schulaufsicht wieder (vgl. Porsch/Radisch/Wedel 2022: S. 99ff.).

Beratungsverständnis

Zwar werden Beratung und Unterstützung in Schulgesetzen explizit benannt, aber es bleibt off en, was in der Praxis darunter zu verstehen ist – und wie dies umzusetzen ist. Aufgrund der eher vagen Beschreibungen besteht für die Mitarbeitenden der Schulaufsicht ein Interpretations- und Handlungsspielraum in der Ausgestaltung. Dieser hängt von ihrem individuellen Beratungsverständnis ab, das durch gemeinsame Dokumente und den Austausch innerhalb ihrer Behörde beeinfl usst wird. Insgesamt zeigt die BeSa-Studie, dass die Beratungsverständnisse von Schulaufsichten sehr heterogen und erfahrungsgebunden sind.

Allgemein zielt professionelle Beratung darauf ab, die Entscheidungs- und Handlungssicherheit der ratsuchenden Person zu erhöhen. Die Beratung basiert auf einem wissenschaftlich fundierten Gerüst und wird von der ratsuchenden Person freiwillig in Anspruch genommen.

Dies lässt sich nicht ohne Weiteres auf den Arbeitskontext der Schulaufsicht übertragen, denn aus den beiden Aufgaben – Aufsicht und Beratung – entstehen Ziel- und Rollenkonflikte. Bereits vielfach wurde diskutiert, inwiefern Kontrolle und Unterstützung als Aufgaben überhaupt miteinander vereinbar sind (z. B. Dedering 2020; Porsch/Radisch 2023: S. 6f.).

Aufsicht und Beratung als Spannungsfeld

Das Autor:innen-Team der BeSa-Studie hat drei Punkte herausgearbeitet, welche die widersprüchlichen Anforderungen an die Schulaufsicht verdeutlichen (Porsch/Radisch 2023: S. 6f.):

Freiwilligkeit und Eigenverantwortung vs. Rechenschaftspflicht und Verbindlichkeit

Ein professioneller Beratungsprozess beruht auf einer freiwilligen Inanspruchnahme durch den Ratsuchenden. Doch Mitarbeitende der Schulaufsicht haben es auch mit Fällen zu tun, in denen z. B. Beschwerden an sie herangetragen werden oder Problemlagen anderweitig dazu führen, dass eine Intervention – im Sinne der Wahrung der Aufsichtsfunktion – notwendig wird. Die Schulen stehen dabei gegenüber der Schulaufsicht in einer Weisungsabhängigkeit bzw. Rechenschaftspflicht und die Schulaufsicht hat die Verantwortung, sicherzustellen, dass rechtliche Rahmenbedingungen verbindlich beachtet und eingehalten werden.
 

Verpflichtung gegenüber der ratsuchenden Person vs. Verpflichtung gegenüber der Organisation

Mitarbeitende der Schulaufsicht müssen neben den Anliegen einzelner Personen, die sich ratsuchend an sie wenden, stets die gesamte Schule als Organisation im Sinne der Schulentwicklung im Blick behalten. Sie agieren insofern stets in einem Spannungsfeld zwischen personenzentrierter und organisationaler Beratung.

Vertraulichkeit vs. Transparenz

Die Beratungstätigkeit bewegt sich stets in einem Spannungsfeld zwischen dem Anspruch an Vertraulichkeit, der für individuelle Beratungen wichtig und notwendig ist, und Transparenz, wenn es um die Erfüllung der Aufsichtsfunktion im Sinne der gesamten Einzelschule und des Schulsystems geht. Es kann beispielsweise in letzterem Sinne notwendig sein, mit Wissen aus dem Beratungsprozess an andere Personen der Schule heranzutreten. Zudem kann es erforderlich sein, weitere intervenierende Maßnahmen zu ergreifen, die vielleicht nicht im Sinne der beratenden Person sind, aber zur Erfüllung der Aufsichtsfunktion notwendig werden.

Beratungskompetenz

Um die herausfordernden, teils widersprüchlichen Aufgaben im Bereich Beratung realisieren zu können, brauchtes Beratungskompetenz. Bislang fehlen jedoch konkrete Beschreibungen zur Beratungskompetenz von Mitarbeiter:innen der Schulaufsicht. Auch ist unklar, inwieweit Beratungskompetenz eine Voraussetzung zum Stellenerwerb darstellt oder darstellen kann, denn die beruflichen Werdegänge von Mitarbeitenden der Schulaufsicht sind sehr unterschiedlich. Insgesamt lässt sich feststellen, dass es noch keine systematischen Kenntnisse darüber gibt, inwieweit Schulaufsichten über Beratungskompetenz verfügen.

Im Rahmen der BeSa-Studie haben Porsch und Radisch eine Übersicht erstellt, in der sie Anforderungen adaptieren, die ursprünglich für Pädagog:innen/Lehrkräfte formuliert worden sind. Denn: Die abgeschlossene Ausbildung als Lehrer:in ist in allen Bundesländern eine zentrale Voraussetzung für die Einstellung von Mitarbeiter:innen in der Schulaufsicht.

Beratungsthemen und -bedarfe

Ergebnisse aus der externen Evaluation des Programms „LiGa – Lernen im Ganztag“ geben Auskunft darüber, wie die Beratungsthemen und -bedarfe einerseits von der Schulaufsicht und andererseits von den befragten Schulleitungen eingeschätzt werden. Dabei wurde allerdings nicht geklärt, was die Befragten unter „Beratung“ verstehen.


Die Top 3 der häufigsten Beratungsthemen werden von Schulaufsicht und Schulleitung gleich eingeschätzt:

  1. Rechtliche Fragen
  2. Personalfragen (z. B. Auswahl, Weiterbildung)
  3. Fragen der Schulorganisation (z. B. Organisationskonzept)

Befragt wurden die Schulaufsichten und Schulleitungen jedoch nicht nur zum Status quo, sondern auch zum wahrgenommenen Beratungsbedarf:
 

Auffällig ist, dass der Beratungsbedarf hinsichtlich der Vermittlung von Kooperationspartner:innen sehr unterschiedlich eingeschätzt wird: Aus Sicht der Schulaufsicht ist der Beratungsbedarf gering; Schulleitungen hingegen wünschen sich zu diesem Thema mehr Beratung. Im Durchschnitt wünschen sich die Schulleitungen sogar bei allen sieben Themenbereichen etwas mehr Beratung.

Ganztag als Thema in der Zusammenarbeit von Schulleitung und Schulaufsicht

In der BeSa-Studie wurde ein Fokus auf das Thema Ganztag gelegt, denn die Ganztagsschulentwicklung ist nach wie vor eine zentrale Aufgabe im Bildungsbereich, deren Erfolg maßgeblich von der Zusammenarbeit aller Akteur:innen im Bildungssystem abhängt. Die Schulaufsicht soll in diesem Kontext maßgeblich ihre Beratungsfunktion ausüben. Zudem ist der Ganztag auch ein Schwerpunkt im Programm „LiGa – Lernen im Ganztag“.

Die Interviews im Rahmen der Studie ergaben, dass das Thema Ganztag in der Beratung als relevant erachtet wird. Das Themenspektrum der ganztagsbezogenen Beratungen reicht von flächendeckendem Personalmangel über rechtliche Aspekte bis hin zu pädagogischen Themen, z. B. die Einführung des Ganztags. Ganztag als Thema ist jedoch – strukturell bedingt – teilweise nicht im Zuständigkeitsbereich einer jeden Schulaufsicht verortet. Die Befragten halten daher den Austausch und die Vernetzung mit Kolleg:innen für sinnvoll.

Qualifizierungsmöglichkeiten und -bedarfe

Die BeSa-Studie zeigt: Die vorhandenen Qualifizierungsmöglichkeiten sind sehr unterschiedlich, aber wenig systematisch. Am meisten verbreitet ist der Besuch externer Fortbildungen, um die Qualifizierung der Schulaufsicht im Bereich der Beratung zu unterstützen. Teilweise sind jedoch nicht genügend Angebote vorhanden, um den Bedarf zu decken.

Auch die Qualifizierungsbedarfe sind breit gefächert: Das gilt für die Fortbildungsinhalte – beispielsweise Organisationsberatung oder Konfliktmanagement – und die Fortbildungsformate, zu denen Coaching, Angebote von internen und externen Expert:innen, aber auch der Austausch im Team zählen. Vor allem in der reflexiven Auseinandersetzung mit einzelnen Fällen werden der teaminterne Austausch und regelmäßige Supervision von den Befragten als relevant eingeschätzt.

Die Erfahrungen im Programm „LiGa – Lernen im Ganztag“ zeigen, dass Qualifizierungsangebote von den Mitarbeitenden der Schulaufsicht sehr gut angenommen werden. Auch der Austauschbedarf auf kollegialer Ebene ist groß. So wurde beispielsweise in Schleswig-Holstein eine Modulreihe zur Qualifizierung der Schulaufsicht entwickelt und in die Landesstrukturen überführt. Das Themenspektrum reicht dabei von der datenbasierten Schulentwicklung bis hin zur systemischen Beratung.

 

Dieser Text ist in der Ausgabe 1/2023 „Beratende Schulaufsicht“ der Publikation „Leit-IDEEN – Impulse für Schulaufsicht und Schulleitung“ erschienen. In der Broschüre finden Sie auf Seite 15 ausführliche Angaben zur verwendeten Literatur.
 

  • Erscheinungsdatum: 26.06.2023
  • LiGa
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