Steuerung von Qualitätsentwicklung – was verbinden Sie mit diesem Begriff?

Dirk Janssen: Mein erster Gedanke dazu ist, dass ich eine unüberschaubare Fülle an Themen und Aufgaben priorisieren muss. Ich muss definieren, was mein Job ist und in welchem Bereich ich wirksam werden will und kann. Deswegen muss ich auch entscheiden, welche Themen ich nicht bearbeite. Damit ist immer eine große Ambivalenz verbunden: Was ist die eigenständige Steuerungstätigkeit von Schulleitung? Was ist meine Rolle? An welcher Stelle ist Steuerung durch Schulaufsicht sinnvoll und konstruktiv – und wo wirkt sie vielleicht gegenteilig? 

Wie sieht Steuerungshandeln in Ihrem Arbeitsalltag aus?

Dirk Janssen: Ich bin seit elf Jahren Schulrat und ein wesentlicher Arbeitsschwerpunkt war für mich immer die Netzwerktätigkeit, um übergreifende Prozesse anzustoßen. Bei dieser Schnittstellenarbeit geht es um die Vernetzung von Schulen, aber auch um die Verbindung verschiedener Rechtskreise – beispielsweise die strukturelle Kooperation mit der Jugendhilfe oder den Arbeitsagenturen.  

Ein Beispiel für die Vernetzung der Schulen sind Hospitationsringe auf Schulleitungs- und Unterrichtsebene, die wir vor vielen Jahren verbindlich eingeführt haben. Nachdem wir uns als Schulamt aus der Steuerung zurückgezogen haben, sind einige sehr tragfähige Partnerschaften übriggeblieben. Wenn ich so etwas initiiere, suche ich zunächst auf Schulleitungsebene Mitstreiterinnen und Mitstreiter, die mit mir die Prozesse dynamisieren. Wenn sie eigenständig funktionieren, werden sie idealerweise in tragfähige Strukturen überführt und ich selbst löse mich als Person schrittweise heraus. Manchmal funktioniert es auch nicht und dann muss ich zur Kenntnis nehmen, dass ich nicht ausreichend wirksam war.

Sehen Sie sich als Impulsgeber?

Dirk Janssen: Ja, wobei es oft Impulse sind, die ich wiederum von außen aufgreife, zum Beispiel über Schulleitungen oder Kooperationspartner. Ein aktueller Impuls, der immer wieder an mich herangetragen wurde, war das Thema der notwendigen Entwicklung schulischer Schutzkonzepte. Ich habe den Impuls aufgenommen und eine Struktur angeboten, damit Schule, Jugendhilfe, Sozialarbeit und Verwaltung zusammenkommen konnten, um gemeinsam verbindliche Entwicklungen zu initiieren. In multiprofessionellen Arbeitsgruppen sind Standards und Fortbildungskonzepte zum schulischen Umgang mit Kindeswohlgefährdung erarbeitet worden.

Was braucht es Ihrer Meinung nach, um Prozesse in Schule gut steuern zu können?

Dirk Janssen: Schulleitung und Schulaufsicht sind per se nicht qualifiziert, um Steuerungsprozesse durchzuführen und zu evaluieren. Ein wirkliches Steuerungswissen ist an vielen Stellen noch unzureichend vorhanden und der Qualifizierungsbedarf ist hoch. Es gehört aber zu den Dingen, die wir alle dringend lernen müssen. Wir sind hier in Schleswig-Holstein bereits gut im Prozess und dazu hat das Programm „LiGa – Lernen im Ganztag“ wesentlich beigetragen.

Wichtig zu erwähnen ist, dass die Möglichkeit, strukturierte und damit längerfristig angelegte Prozesse umzusetzen, durch die aktuelle Personalsituation an Schulen sehr eingeschränkt wird. Ich erlebe Schulleitungen auch dadurch als hoch belastet – unabhängig von Corona. Sie können fast nie mit voller Personalbesetzung arbeiten. Ich kann einen toll steuernden, engagierten Schulleiter haben, aber wenn er kein Team hat, auf das er sich verlassen kann, funktioniert es nicht.

Wann ist Steuerung aus Ihrer Sicht wirksam und woran kann man das erkennen?

Dirk Janssen: Wenn ich Prozesse angestoßen habe, aus denen ich mich nach einer Weile rausziehen kann, weil sie eigenständig laufen, ist das für mich ein Erfolgsindikator.

„Wirksame Steuerung erkenne ich auch an der erfolgreichen Umsetzung vereinbarter Zielvorgaben. Das gilt nicht nur für formale Zielvorgaben, sondern auch für einfache Absprachen über das weitere Vorgehen, zu dem ich regelmäßig Rückmeldungen bekomme. “

Dirk Janssen Schulrat im Landkreis Pinneberg © privat

 

Bei der Frage der Wirksamkeit erleben wir leider noch häufig, dass auf verschiedensten Ebenen mit gefühlten Wahrheiten und Alltagstheorien gearbeitet wird. Zu oft fehlen uns Daten bzw. die Fähigkeit, sie zu erheben, auszuwerten und zu interpretieren. Das ist ein sehr großes Problem, vor allem in Netzwerken, wenn verschiedene Systeme mit unterschiedlichen Datengrundlagen aufeinandertreffen. 

Inwiefern hat die Corona-Pandemie Ihr Steuerungshandeln verändert?

Dirk Janssen: Die Themen haben sich komplett verschoben. Ob Nachfragen von Schulleitungen oder Beschwerden von Eltern: Fast alles dreht sich um Corona. Der Versuch, die Auswirkungen und die Umsetzung von Erlassen und Regeln in den Schulen zu begleiten und Sicherheit zu vermitteln, ist der zentrale Faktor meiner Arbeit. Ich muss die Regeln selbst verstanden habe, um sie weitergeben und einen Orientierungsrahmen anbieten zu können. Das ist gar nicht einfach, weil sich die Lage permanent geändert hat. Ich bin ununterbrochen in Gesprächen mit Schulleitungen und Eltern. Gleichzeitig kann ich nicht mehr so oft vor Ort sein und vor allem Schulen in kritischen Situationen nicht mehr so regelmäßig begleiten.  

Wie unterstützen Sie die Schulen in dieser Zeit?

Dirk Janssen: Wir haben auf regionaler Ebene kleinere Beratungszirkel gebildet und tagen in kürzeren Abständen. Das ist ein interessanter Prozess, weil die Schulleitungen dieses reduzierte Format auch nach Corona gerne fortführen möchten. Konkret sieht das so aus: Ich fahre in eine Schule, treffe sechs Schulleitungen auf Abstand, habe zwei Stunden Zeit und wir tauschen uns intensiv aus. Es gibt aber auch Kaffee und Kekse und die Möglichkeit des Durchatmens. Dabei kann ich Fragen mitnehmen oder direkt beantworten und als Multiplikator das Wissen in andere Gruppen mitnehmen. Andere Gruppen organisieren wir in Form von Videokonferenzen. Wir haben relativ effiziente Wege der Kommunikation gefunden.  

Die Corona-Zeit hat sehr deutlich gemacht, wie wichtig Austausch und Unterstützung sind, denn Schulleitungen kommen an ihre Belastungsgrenzen. Doch nicht nur mit Blick auf die Pandemie sehen wir einen hohen Bedarf, Unterstützungssysteme wie kollegiale Supervision für Schulleitungen weiter auf- und auszubauen.
 

Dieser Text erschien in der Ausgabe 1/2020 „Wirksame Steuerung“ der Leit-IDEEN, einer Publikation von „LiGa – Lernen im Ganztag“. 

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