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Was verstehen Sie unter dem Begriff Resilienz?

Astrid Geschwind: Jeder benutzt den Begriff – und jeder benutzt den Begriff anders. Ich orientiere mich an den sieben Säulen der Resilienz, die Prof. Daniela Elsner in der LiGa-Veranstaltung „LeaderChips to go“ vorgestellt hat. Über meinem Schreibtisch hängt sogar das Bild, auf dem die Kernaussagen aus dem Impulsvortrag zusammengefasst wurden. Und ich habe mir vorgenommen, darauf immer wieder hinzuweisen.

Welche Aspekte der Resilienz spielen in Ihrem Arbeitsalltag eine Rolle?

Astrid Geschwind: Alle Säulen der Resilienz sind relevant, doch besonders wichtig ist aus meiner Sicht der Aspekt der Selbstwirksamkeit. Wenn ich das Gefühl habe, selbstwirksam tätig zu sein und Wirkung zu entfalten, dann gibt mir das ein gutes Gefühl. Mir ist es aber genauso wichtig, in der Zusammenarbeit mit Schulleitungen darauf zu achten, dass sie ihre Selbstwirksamkeit spüren.

Wir haben in Nordrhein-Westfalen das Konstrukt der eigenverantwortlichen Schule. Dabei gibt es immer wieder herausfordernde Situationen, in denen Schulleitungen fachlichen Austausch oder Beratung benötigen. Wir schauen immer auf den rechtlichen Rahmen, aber innerhalb dieses Rahmens gibt es viele Möglichkeiten, daher frage ich zunächst: „Wie würdest du das Problem denn gerne lösen? Wie würdest du gerne entscheiden wollen?“ Im besten Fall ist das ein Vorgehen, das ich mittragen kann. Dann habe ich durch mein Handeln dazu beigetragen, die Selbstwirksamkeit der Schulleiterinnen und Schulleiter zu stärken.

In welchen Situationen spüren Sie Selbstwirksamkeit?

Astrid Geschwind: Wir können bei dem Beispiel bleiben. Wenn eine Schulleitung in einer schwierigen Situation bei mir anruft und fragt: „Hast du mal einen Augenblick Zeit? Können wir da mal zusammen draufschauen?“. Und wenn sie am Ende sagt: „Das hat richtig gutgetan. Ich habe jetzt eine neue Idee, wie ich es angehe.“ Das ist ein Moment, in dem ich große Selbstwirksamkeit spüre, denn diese Schulleitung verantwortet ein großes System – dahinter stehen viele Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler. Ein weiteres Beispiel ist, wenn wir bei Veranstaltungen fachliche Impulse geben und positives Feedback bekommen.

Gibt es eine weitere „Säule der Resilienz“, die Ihnen besonders wichtig ist?

Astrid Geschwind: Ich finde die Kausalanalyse sehr erfrischend und entlastend – gerade in Zeiten, in denen Ressourcen knapp sind. Dazu gibt es einen Satz aus dem Impulsvortrag von Prof. Elsner, den ich sehr oft nutze: Wenn man an einer Situation absolut nichts ändern kann, dann sollte man von diesem Gedanken ablassen und die Energie in andere Sachen stecken.

Wie gelingt es Ihnen, Schulleitungen in herausfordernden Zeiten zu unterstützen?

Astrid Geschwind: Wir hatten hier in den vergangenen Jahren nicht nur die Corona-Pandemie, sondern auch eine schwere Hochwasserkatastrophe. Da war es uns als Schulaufsicht wichtig, sofort hinzufahren – ohne Lösungen im Gepäck – und einfach da zu sein, zuzuhören, mitzufühlen. Neben der Empathie war dabei auch der Aspekt der Emotionssteuerung besonders bedeutsam.

Es geht einerseits um eine Haltung, auch in solch schwierigen Zeiten noch das Gute zu sehen und positiv zu denken. Und es geht andererseits auch um das vertrauensvolle Zusammenwirken von schulfachlicher Aufsicht und Schulleitung. Gerade wenn es schwer kommt, müssen Schulleiterinnen und Schulleiter wissen: Ich kann jetzt einfach bei ihr anrufen und bekomme keine fertige Lösung serviert, sondern es ist auch in Ordnung, erst mal gemeinsam die Schwere der Situation zu fühlen und zu überlegen. Es geht eben nicht darum, alles schnell vom Tisch zu wischen, denn damit wird man den Menschen vor Ort nicht gerecht.

Schulleiterinnen und Schulleiter sind diejenigen, die vor Ort wichtige Entscheidungen im Sinne der Schülerinnen und Schüler treffen müssen – und gerade schwere Entscheidungen trifft man nicht mal eben so. Ohne gegenseitiges Vertrauen und die Möglichkeit, gemeinsam denken und abwägen zu können, funktioniert es meines Erachtens nicht.

Welche konkreten Maßnahmen helfen den Schulleitungen Ihrer Meinung nach am meisten?

Astrid Geschwind: Am wichtigsten ist es, gut zuzuhören: Wie ist die Situation, die gerade als belastend oder schwierig empfunden wird? Wo würde die Schule gerne sein, wo möchte sie hin? Und dann zu schauen, wie sie dahinkommen kann. Einfache Rezepte gibt es nicht! Das würde auch der komplexen Aufgabe nicht gerecht werden. Es geht darum, vertrauensvoll miteinander im Gespräch zu sein und die nächsten Schritte zu überlegen. Während der Corona-Pandemie war es darüber hinaus auch hilfreich, dass wir als Schulaufsicht bei der Vernetzung unterstützt haben. Gerade als es darum ging, neue technische Systeme einzuführen, konnten wir Schulen zusammenbringen. Aber auch zu inhaltlichen Fragestellungen haben wir den Austausch ermöglicht, z. B. zur Frage, was gelingenden digitalen Unterricht ausmacht. Das wurde von vielen als entlastend wahrgenommen.

Wie hängen Resilienz und Qualitätsentwicklung von Schule zusammen?

Astrid Geschwind: Optimistischen, zukunftsorientierten, resilienten Schulleiterinnen und Schulleitern, die Freude an ihrem Beruf haben, gelingt vieles deutlich leichter. Sie schaffen es, die Freude an der Arbeit in ihre Systeme zu übermitteln. Und das ist genau das, was Schülerinnen und Schüler brauchen: Lehrkräfte, die wirklich zutiefst Freude an ihrer Arbeit haben.

Doch gerade, wenn es um Unterrichts-, Organisations- und Personalentwicklung geht, sind Schulleitungen stark gefordert und müssen die Ambiguitäten dieser Welt aushalten und gut kommunizieren. Je klarer, empathischer und optimistischer sie dabei sind, desto besser können sie die Menschen mitnehmen.

Aber natürlich hat auch eine grundsätzlich optimistische Schulleitung manchmal Phasen, in denen sie oder er müde ist oder Zweifel hochkommen – das ist ja nur menschlich. Und deshalb sage ich immer: Wenn der Moment da ist, wenn du in einer schwierigen Situation bist, ruf mich an!

Was ist Ihr persönliches Rezept für Resilienz?

Astrid Geschwind: Ich stehe morgens sehr früh auf und begebe mich auf meine Yogamatte. Das ist für mich der Start in den Tag, das gibt mir Gelassenheit und Kraft. Für mich ist wichtig, jeden Tag aufs Neue meine Rolle zu klären: Diese Rolle ist an vielen Stellen, Gesprächspartnerin in herausfordernden Situationen zu sein. Und was ich beitragen kann – in Ruhe zuzuhören, die Problematiken zu durchdenken, im Austausch zu sein – das erfrischt mich und ich mache das gerne! Es ist nicht nur mein Beruf, sondern meine Berufung, denn wir tun das für die Schülerinnen und Schüler, für die zukünftigen Demokratinnen und Demokraten in unserer Region. Und was gibt es für ein schöneres Feld, um tätig zu sein?

Dieses Interview erschien in der Ausgabe 3/2022 „Resilienz“ der Leit-IDEEN, einer Publikationsreihe von „LiGa – Lernen im Ganztag“.

  • Erscheinungsdatum: 14.12.2022
  • LiGa
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