Ein Beitrag von Frank Hinte und Stefan Schönwetter von der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung (DKJS).


Es behauptet, „Der gute Mensch von Sezuan“ sei eine Kurzgeschichte von Wolfgang Borchert und verursacht große Aufregung in Redaktionen, Ministerien und Schulen. Wieder einmal, behaupten skeptische Stimmen, steht die Bildung aufgrund einer technischen Disruption vor dem Ende. Oder werden wir erleben, dass erneut ein innovativer Stern der Digitalität verglüht? Was hat es also auf sich mit chatGPT, das seit November 2022 frei zugänglich ist und die Gemüter so sehr erhitzt? Vollzieht sich hier gerade nicht weniger als eine Revolution des Lernens und noch viel mehr des Lehrens? Ist es berechtigt, dass Lehrkräfte etwa in Bayern, Niedersachsen und im Saarland sich eilig zu chatGPT fortbilden?

ChatGPT ist eine Plattform, die über ein Chatfenster mit Ihnen kommuniziert. Das kennen Sie im Kleinen von Ihrem Internetreisebüro, Ihrer Versicherung oder Ihrer Bank. „Hallo, ich bin Kim, die virtuelle Assistenz! Als automatischer Chatbot bin ich rund um die Uhr bei Anliegen zu Ihrer Reise für Sie da. Was möchten Sie tun?“ Kim wurden Sprachmodelle trainiert und mit einer relevanten Menge von Menschen kuratierter Inhalte gefüttert. Statistiken und Algorithmen leiten die Frage über Knotenpunkte und Netze durch Rechenzentren voller Daten zu einer Antwort. Und in vielen Fällen ist diese Antwort hilfreich, fast immer klingt sie medioker. Im besten Fall ist der Kunde zufrieden und ein Callcenter entlastet.

Das Versprechen von ChatGPT ist deutlich größer, der Anspruch ist, auf alles eine Antwort zu haben. Der Chatbot ist in der Anwendung durchaus beeindruckend! Man kann sich umfangreiche Aufsätze über den Klimawandel schreiben, Matheaufgaben lösen oder Softwarecode produzieren lassen. Alles in wenigen Minuten. Die technische Revolution dahinter ist unbestritten und noch lange nicht am Ende. Ist das smart? Ja. Ist das künstliche Intelligenz? Noch nicht. 

Herausfordernd ist chatGPT für unser Bildungssystem auf mehreren Ebenen.

Wo immer Schüler:innen aufgefordert sind, Wissen in Hausaufgaben oder Klausuren zu reproduzieren, nutzen sie hier und da kleine Hilfstechniken. ChatGPT wird sich also einreihen in die Liste des Verpönten: Abschreiben, Spickzettel, Interpretationshilfe, Copy & Paste. Die Revolution die chatGPT auslöst, betrifft vor allem die Rolle und Haltung einer pädagogischen Fachkraft in Zeiten der Digitalität. ChatGPT ist der einfache Weg eine richtige Antwort zu erhalten. Es ist signifikant schneller als den Brockhaus aufzuschlagen, die richtigen Passagen zu suchen und abzuschreiben. Gleichzeitig ist die vorhandene Datenbasis ungemein größer als es eine menschliche Recherche jemals leisten könnte. ChatGPT kann weder kontextualisieren, noch hat es eine eigene Kompetenz. Ein produktiver Umgang mit dem System im Schulunterricht ist möglich.

ChatGPT ist nur so gut wie die Menschen, die das System entwickeln. Das System ist aber nicht in der Lage zu differenzieren, zu relativieren oder schlicht zu passen. Es liefert stets und selbstbewusst eine Antwort. Schüler:innen brauchen deutlich mehr und eine gänzlich anders ausgeprägte Medienkompetenz als bisher.

ChatGPT ist nur so demokratisch und aufrichtig wie die Menschen, die das System entwickeln; es ist anfällig für Manipulation. Schüler:innen müssen in ihrem Demokratieverständnis und in der Fähigkeit zum kritischen Denken gestärkt werden.

Was daraus für Schulen und Bildungssystem folgt, ist längst formuliert:

„Zur Implementation einer an ein Lernen in einer Kultur der Digitalität ausgerichteten Prüfungskultur sind nach erfolgreicher Erprobung die Länderverordnungen zu Klassenarbeiten und zentralen Abschlussprüfungen weiterzuentwickeln und entsprechend anzupassen. Die Verbindung von Lern- und Prüfungskultur ist sicherzustellen.“ (Lehren und Lernen in der digitalen Welt Ergänzung zur Strategie der Kultusministerkonferenz „Bildung in der digitalen Welt“, Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 09.12.2021)

„Insgesamt wird es noch stärker darauf ankommen, Fakten, Prozesse, Entwicklungen einerseits einzuordnen und zu verknüpfen und andererseits zu bewerten und dazu Stellung zu nehmen.“ (Strategie der Kultusministerkonferenz „Bildung in der digitalen Welt“, Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 08.12.2016 in der Fassung vom 07.12.2017)

„Besondere Verantwortung der Schule ergibt sich daraus, dass sie die einzige gesellschaftliche Institution ist, in der es gelingen kann, alle Kinder und Jugendlichen zu erreichen. Schule kommt daher als Ort der demokratischen Wissensvermittlung und gleichzeitig als demokratischer Erfahrungsraum eine hohe Verantwortung zu. (Demokratie als Ziel, Gegenstand und Praxis historisch-politischer Bildung und Erziehung in der Schule, Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 06.03.2009 in der Fassung vom 11.10.2018)

Die Forderungen der KMK konnten nicht überall in der Aus-, Fort- und Weiterbildung von Lehrkräften und Schulleitungen sowie in den Bildungsplänen umgesetzt werden. Die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung leistet mit Programmen wie bildung.digital auch in den kommenden Jahren einen Beitrag, Bildungsmacher:innen auf dem Weg der Implementierung digitaler Projekte an Schulen zu begleiten. Das gilt auch für einen guten Umgang mit ChatGPT.
 

Dieser Beitrag wurde am 31.1.2023 erstmalig auf der Website der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung (DKJS) veröffentlicht.