Welche Entwicklungen haben Sie dazu bewogen, dieses wenig erforschte Thema in den Blick zu nehmen?

E. D. Klein: Die Schulentwicklungsforschung hat in den vergangenen zehn Jahren gezeigt, dass mehr Autonomie der Schulen nicht zwangsläufig zu mehr Entwicklung führt. Teilweise wird die Aufforderung, Schulentwicklung zu betreiben, seitens der Schulen als Belastung empfunden, teilweise fehlen den Schulen die Kapazitäten, die sie brauchen, um sich zu entwickeln. Unser Eindruck war, dass in der Praxis an vielen Stellen Ansätze entstehen, wie man Schulen stärker unterstützen kann. Auch in der Schulaufsicht wird viel darüber nachgedacht, was man machen kann. Parallel dazu hat auch in der Forschung ein Umdenken stattgefunden: Das Narrativ von der sich entwickelnden, eigenverantwortlichen Schule wird zunehmend kritisch hinterfragt. Unterstützungsstrukturen – insbesondere die staatliche Schulaufsicht – werden deshalb inzwischen stärker in den Blick genommen.

N. Bremm: Diese Entwicklung wurde verstärkt durch Forschungs- und Entwicklungsprojekte, die gezeigt haben, dass Schulen sich sehr unterschiedlich entwickeln – je nachdem, welche Rahmenbedingungen sie haben. Es gibt förderliche und begrenzende Unterstützungssysteme. So kann auch die Schulaufsicht als eine zentrale Akteurin entweder Möglichkeiten eröffnen oder begrenzend wirken.

Gerade wenn es um Forschungsfragen geht, sind die Zugänge zur Schulaufsicht allerdings nicht immer so einfach. Doch die Bildungsadministration öffnet sich durch viele Praxisprojekte immer mehr, auch wenn ich noch Grenzen in der Offenheit wahrnehme, sich beforschen lassen zu wollen. Etwas, was von Schulen und ihren Akteuren ja durchaus als fast selbstverständlich vorausgesetzt wird.

E. D. Klein: Die Handlungslogik der Schulaufsicht und das Verständnis der eigenen Rolle haben sich gewandelt. Es ist ein Wandel von einer bürokratischen Verwaltungs- oder Kontrolllogik hin zu einer Qualitätslogik. Dadurch gibt es mehr Offenheit, sich selbst zu hinterfragen, um besser zu werden.

Warum haben Sie als Buchtitel den Dreiklang „Unterstützung – Kooperation – Kontrolle“ gewählt?

N. Bremm: Die Schulaufsicht hat traditionell in den deutschsprachigen Ländern eine Aufsichts- und Kontrollfunktion, die dem Unterstützungs- und Qualitätsaspekt zunächst nicht nahesteht. Für das System ist es wichtig, dass Abläufe administrativ möglichst reibungslos funktionieren und dass Regelungen eingehalten werden. Doch in den letzten 15 Jahren kommt von außen – vor allem aus dem anglo-amerikanischen Diskurs um Schulentwicklung – eine zusätzliche Dimension herein: der Qualitätsdiskurs. Dieser Diskurs richtete sich zunächst an die Schulen, doch es hat sich gezeigt, dass man auch die Bildungsadministration mitdenken muss, um den drängenden Fragen des Bildungssystem, wie bspw. Bildungsgerechtigkeit, Digitalisierung oder Inklusion, zu begegnen. Durch die stärkere Fokussierung auf den Qualitätsdiskurs ergibt sich hier ein großes Spannungsfeld für die einzelnen Personen – denn die Aufsichtsfunktion bleibt ja bestehen. Deswegen haben wir die Eckpunkte „Unterstützung“ und „Kontrolle“ gewählt und dazwischengesetzt, dass es nur über Kooperation gelingen kann, die beiden Eckpunkte zu vereinen. Kritisch möchte ich dazu anmerken: Wenn es keine Regeln für die Kooperation gibt, kommt es sehr darauf an, wie die individuellen Menschen diese Rollen ausfüllen – sowohl auf Schulleitungs- als auch auf Aufsichtsebene. Daher sehen wir eine große Varianz in gelebten Kooperationsbeziehungen. Es ist immer noch ein Aushandlungsprozess, ein Ringen, weil die Rollen oftmals nicht klar definiert sind. Das System befindet sich im Wandel und die Akteure vor Ort müssen schauen, wie sie die Rollen ausfüllen.

E. D. Klein: Die drei Begriffe bezeichnen zudem auch sehr unterschiedliche Hierarchieverhältnisse zwischen Schulaufsicht und Schulleitung. Die Beiträge in dem Buch haben wir so gewählt, dass sie diese verschiedenen Hierarchieverhältnisse abdecken: In einigen Beiträgen geht es um Kontrollmechanismen, in anderen um Beratung und Unterstützung. Und manche Beiträge zeigen, dass ein kooperatives Miteinander auf Augenhöhe zur Verbesserung der Schulqualität stattfindet. Doch wir mussten feststellen, dass dieser Aspekt in der Forschung bislang kaum bedient wird. Die Kontrollverhältnisse stehen hingegen im Fokus.

N. Bremm: Das hängt auch damit zusammen, dass die Schulaufsicht in vielen Bundesländern eher eine Schnittstellenfunktion einnimmt: Sie schaut, was die Schule braucht, und vermittelt dann weiter. Die tatsächlichen Unterstützungsleistungen übernehmen häufig untergeordnete Behörden oder auch private Akteure. Die Forschung zeigt, dass sich dieses Modell in Deutschland immer mehr abzeichnet.

Was würde der Schulaufsicht helfen, dieses große Aufgabenspektrum zu bewältigen?

N. Bremm: Es würde helfen, ganz klar Rollen und Aufgaben zu definieren. Dadurch, dass die aufsichtliche Funktion in den vergangenen Jahren so stark um die Qualitätsdimension ergänzt – und nicht abgelöst – wurde, hat die Schulaufsicht einfach immer mehr Aufgaben hinzubekommen. Oftmals kommt es sehr stark auf die Einzelperson an, wie sie Aufgaben priorisiert. Es wäre hilfreich, überhaupt eine Kernbeschreibung der Profession Schulaufsicht und ihrer Zuständigkeiten zu definieren. Diese sollte empirisch gestützt sein, das heißt hier braucht es dringend weitere Forschung.

E. D. Klein: Dazu muss man jedoch sagen, dass es im deutschsprachigen Raum bislang noch keine Wirkungsforschung dazu gibt, welche Konstellationen besonders gut funktionieren und wie sich das Handeln der Schulaufsicht auf die Schulen auswirkt. Es gibt auch kein empirisches Wissen darüber, über welche Kompetenzen oder welche Ausbildung Schulaufsichtsbeamtinnen und -beamte verfügen.

Auch wenn die Forschung noch am Anfang steht: Welche Relevanz hat aus Ihrer Sicht die Zusammenarbeit von Schulaufsicht und Schulleitung für die Schulentwicklung?

E. D. Klein: Ob Schulen sich entwickeln oder nicht, ist bislang von der einzelnen Schule abhängig und davon, ob es innerhalb der Schule einzelne motivierte Personen, Strukturen der Zusammenarbeit und eine Haltung, die Schule verändern zu wollen, gibt. Deshalb hat die Zusammenarbeit von Schulaufsicht und Schulleitung eine hohe Relevanz, damit Schulen Impulse bekommen, sich weiterzuentwickeln. Dass es eine Instanz gibt, welche die Schule im Blick hat und sie eventuell auch mal anschubst oder Probleme benennt, ist wichtig, damit Entwicklung stattfinden kann.

N. Bremm: Unsere Projekterfahrungen zeigen andererseits, dass Schulaufsicht auch stark begrenzen kann. Dass eine motivierte Schulleitung und ein motiviertes Kollegium gebremst werden, sollte natürlich nicht passieren. Wichtig wäre es aus meiner Sicht, Schulaufsichtsbeamtinnen und -beamte so weiterzubilden, dass sie das große Ganze im Blick haben, gut im Austausch mit den Schulleitungen sind und wissen, wie sie Ermöglichungsräume schaffen können. Da sollte man ansetzen.

Welche Forschungsergebnisse finden Sie besonders interessant?

E. D. Klein: Mehrere Beiträge zeigen: Bewährtes schlägt sich durch. Ein Befund im Beitrag von Sebastian Wurster et al. ist beispielsweise, dass Mitarbeitende der Schulaufsicht eher ihren persönlichen Blick auf die Schule handlungsleitend finden als empirische Daten, z. B. aus Vergleichsarbeiten. Das könnte Ausdruck dafür sein, dass die Effektivitäts- und Evidenzorientierung sich hier (noch) nicht durchgesetzt hat. Und das sehen wir auch bei vielen Schulen.

N. Bremm: Ich fand interessant, dass so deutlich dargestellt wurde, dass die Schulaufsichten sehr stark aus ihrer Rolle als ehemalige Schulleitungen heraus agieren. Denn ein eigenes Professionsverständnis ist nicht klar umrissen. Sie nehmen ihre alte Folie – ihre eigenen Erfahrungen als Schulleitungen – um das Neue zu managen, denn damit identifizieren sie sich und fühlen sich sicher. Der Beitrag von Joachim Herrmann liefert konkrete Beispiele: Anstatt aus ihrer Rolle als Schulaufsicht heraus zu beraten, bezogen sich die Schulaufsichtsbeamten in Gesprächen mit Schulleitungen eher auf ihre Erfahrungen: „Ich habe das als Schulleiter immer so und so gemacht und mir hat damals dies und jenes geholfen.“ Das ist kein Expertenblick aus einem professionellen Verständnis der Aufsicht heraus, sondern ein praxisorientierter, auf die eigene Vergangenheit bezogener Blick.

Das Thema ist sowohl für die weitere Forschung als auch für die Schulaufsichtspraxis sehr spannend: Was umfasst die Profession Schulaufsicht? Was macht wirksames Schulaufsichtshandeln aus?

E. D. Klein: Mein Eindruck ist, dass dieser Diskurs „Wer wollen wir eigentlich als Schulaufsicht sein?“ nicht neu ist und die Schulaufsicht schon seit langer Zeit umtreibt. Ein Grund dafür ist meiner Meinung nach, dass wir in der Forschung und in der Praxis immer noch relativ wenig darüber wissen, wie Schulaufsicht sein sollte.

Das Buch und die Herausgeberinnen

Klein, Esther Dominique & Bremm, Nina (Hrsg.) (2020): Unterstützung – Kooperation – Kontrolle. Zum Verhältnis von Schulaufsicht und Schulleitung in der Schulentwicklung. Wiesbaden: Springer VS.

Nina Bremm ist Professorin für Schulentwicklung an der Pädagogischen Hochschule Zürich.

Esther Dominique Klein war bis zum 30.09.2020 Universitätsprofessorin für Schulpädagogik mit dem Schwerpunkt Schulentwicklung an der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck. Seit dem 01.10.2020 ist sie Universitätsprofessorin für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Schulentwicklungsforschung an der Philipps-Universität Marburg.

 

  • Erscheinungsdatum: 05.10.2020
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