„Aufgrund des Sozialraums – das belegt auch die Datenlage – haben wir es mit vielen Kindern zu tun, die es nicht einfach haben. Wir sind eine Schule im sozialen Brennpunkt. Armut und Migration sind die Stichworte, die unsere Schule kennzeichnen.“ So bringt Schulleiter Carsten Haack die herausfordernde Situation an seiner Schule auf den Punkt. Deshalb war zu Beginn von „LiGa – Lernen im Ganztag“ klar: „Wir müssen etwas entwickeln, damit wir in den Fächern Mathe, Englisch und Deutsch zusätzliche Zeiten haben, in denen die Schülerinnen und Schüler individuell gefordert und gefördert werden.“ Ausgehend von diesem Kerngedanken hat die Schule begonnen, sogenannte Trainingsstunden einzuführen.

Trainingsstunden

  • In den Trainingsstunden arbeiten die Schülerinnen und Schüler ruhig und selbstbestimmt. Sie vertiefen Unterrichtsinhalte und erhalten individuelle Unterstützung.
  • Die Trainingsstunden sind mittlerweile fachgebunden und finden im Klassenverband statt, weil die Schülerinnen und Schüler damit am besten umgehen können.
  • In den meisten Klassen wurden zusätzliche Stunden geschaffen, z. B. eine sechste Deutschstunde. Teilweise wurden auch Stunden aus der Stundentafel in Trainingsstunden umgewandelt.
  • Mindestens drei Kollegen mit Integrationsfachkraft und manchmal auch eine vierte Person begleiten die Trainingsstunden. Das zusätzliche Personal wird abgedeckt durch Differenzierungsstunden in der Personalzuweisung.
  • Jede pädagogische Fachkraft kümmert sich um eine Tischgruppe mit bis zu acht Kindern, um bedarfsorientiert und individuell zu unterstützen – und Effekte zu erzielen.
  • Die Lehrkräfte beobachten und helfen sehr aktiv. Sie sind Lernbegleiter, aber sie machen auch Vorgaben und kontrollieren, wie die Kinder die Aufgaben bearbeiten.

Sprachstandserhebung und ein neues Konzept

Weil die Ergebnisse trotz der neu eingeführten Trainingsstunden zunächst nicht besser wurden, gab es bei den Schülerinnen und Schülern ebenso wie im Kollegium eine große Unzufriedenheit. Eine Ursache war, dass die sprachlichen Kompetenzen bei vielen sehr gering waren, sodass wichtige Grundlagen fehlten. Durch die Folgen der Flüchtlingskrise ab 2015 hatte sich die Schülerschaft stark verändert: 25 Prozent der Schülerinnen und Schüler haben Fluchterfahrungen. Hinzu kamen viele andere Kinder, die nur geringe Deutschkenntnisse hatten. „Daher haben wir im Frühjahr 2018 beschlossen, bei 400 Kindern der Sekundarstufe 1 den Sprachstand nach dem Europäischen Referenzrahmen zu überprüfen“, erklärt Haack. „Wir wollten herausfinden: Wo stehen die Kinder eigentlich und wie unterschiedlich ist das in den einzelnen Klassen?“ Die Aufbereitung der Daten ergab, dass sich der überwiegende Teil der Kinder auf Sprachniveau A1 befand. „Das galt überraschenderweise auch für die Jugendlichen in den höheren Jahrgängen.“ Aufgrund dieser alarmierenden Ergebnisse entschied sich die Schule für einen großen Schnitt: „Wir haben die Schulaufsicht eingeladen und ein neues Konzept präsentiert: Von den sechs Deutschstunden machen wir drei Trainingsstunden Deutsch. Wir verabreden innerhalb des Kollegiums, dass alle mit dem gleichen Lehrwerk arbeiten – und zwar hoch individualisiert.“

Sprachförderung in den Deutschtrainingsstunden

Die Schule entschied sich für ein Lehrwerk eines großen Verlags, das besonders für den Unterricht von Deutsch als Zweitsprache geeignet ist. Aufgrund der vorliegenden Testergebnisse konnte jedes Kind mit der Lektion starten, die zu seinem Sprachstand passte. Für die gesamte Sekundarstufe von Klasse 5 bis 9 wurden auf diese Weise drei Deutsch-Trainingsstunden eingeführt. „Alle zusätzlichen Ressourcen, die uns zur Verfügung stehen, haben wir komplett in diese drei Stunden gesteckt“, sagt Schulleiter Haack. Der Ablauf sieht so aus: Das Dreier-Team tritt vor die Klasse und bittet die Schülerinnen und Schüler, mit der Arbeit in dem Buch zu beginnen. Bei den 25 Kindern einer Klasse sind bis zu acht Niveaustufen vertreten. Jedes Kind weiß, wo es steht, und was es zu tun hat. Jede Lektion enthält Vokabeln, Grammatik und Übungen. Wenn das Kind mit der Lektion fertig ist, macht es einen Test. Erreicht es ein bestimmtes Ergebnis, kann es mit der nächsten Lektion beginnen.

Kontinuierliches Monitoring des individuellen Lernfortschritts

Aufgrund der Datenlage können die Lehrkräfte gut nachvollziehen, wie die Schülerinnen und Schüler vorankommen und welchen Unterstützungsbedarf sie haben. „Das ermöglicht uns auch, im nächsten Lernentwicklungsgespräch mit den Eltern sehr präzise zu sagen, wie sich die Sprachkompetenz entwickelt hat“, erklärt Haack. Diese Rückmeldung sorgt bei den Eltern für Akzeptanz hinsichtlich der Trainingsstunden. Auch die Akzeptanz seitens der Schülerinnen und Schüler schätzt Schulleiter Carsten Haack positiv ein: „Die Kinder müssen drei Stunden pro Woche sehr ruhig und eigenständig arbeiten. Doch gleichzeitig müssen sie auch sehr aktiv und agil sein – und das tut ihnen sehr gut. Hinzu kommt, dass sie immer wieder Erfolgserlebnisse haben.“ Neben den Erfolgen gibt es jedoch auch noch „viele Schrauben“, an denen Carsten Haack mit dem Kollegium arbeitet. Sie möchten vor allem die Verbindung der Trainingsstunden zum Fachunterricht stärken. „Nur weil es in der Übung in dem Lehrwerk klappt, heißt das noch nicht, dass das grammatische Phänomen auch in selbst produzierten Texten angewandt wird. Da gibt es immer noch große Einbrüche.“ Zudem überlegen sie, auch für das Fach Mathematik ein verbindliches Material und weitere Trainingsstunden einzuführen. Carsten Haack weiß, dass seine Schule mit diesem individualisierten Sprachunterricht auf dem richtigen Weg ist. Alle Kolleginnen und Kollegen tragen dieses Konzept und das Ziel, dass jedes einzelne Kind seine Sprachkenntnisse verbessert. Die Datenlage bestätigt: Ein Großteil der Schülerinnen und Schüler hat sich im Laufe eines Schuljahres um eine halbe Niveaustufe verbessert.

Der Text erschien in der Broschüre „Individuell lernen – Ganztag gestalten“ von „LiGa – Lernen im Ganztag “ Schleswig-Holstein. 

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