Die kollegiale Fallberatung wird heute in allen Phasen der Lehrkräftequalifizierung und Beratung eingesetzt. Auch für einige Mitarbeitende der Schulaufsicht hat sie sich als nützlich erwiesen:

  • als Beratungsform im kollegialen Austausch untereinander,
  • als Format, das sie bei Treffen mit mehreren Schulleitungen für Austausch und Beratung auf Peer-Ebene einsetzen können,
  • als methodisches Know-how, das sie an Schulleitungen vermitteln, um deren Kompetenzen zu stärken und Personalentwicklung zu fördern. 

Besonderheiten und Wirkung kollegialer Fallberatung


Die Reflexionsmethode hat ihren Ursprung in der Ausbildung von Lehrkräften. Wurde sie in den Anfängen noch von psychologischem Fachpersonal angeleitet, entwickelte sich daraus später eine selbstorganisierte Beratungsform. Mit dem Bedeutungszuwachs im sozialen und pädagogischen Bereich bildeten sich eine Vielzahl von Varianten und neue Begriffsbestimmungen heraus. Dazu gehören beispielsweise Peer-Supervision, Intervision oder kollegiales Coaching. Der Verzicht auf externe professionelle Beratung hat sich in der Grundform der kollegialen Beratung jedoch als charakteristisches Merkmal durchgesetzt. Damit übernehmen alle Teilnehmenden gleichberechtigt Verantwortung im Beratungsprozess. 

Als weitere Kriterien kollegialer Fallberatung beschreibt Kim-Oliver Tietze in seinem Standardwerk „Kollegiale Beratung: Problemlösungen gemeinsam entwickeln“:

  • Freiwilligkeit der Teilnehmenden 
  • Gruppengröße von 5 bis 10 Personen, die nicht einem Team angehören müssen, aber ähnlichen beruflichen Erfahrungshintergrund mitbringen
  • Ablauf folgt einer festen Struktur 
  • Transparenz über die Methoden der kollegialen Beratung für alle Teilnehmenden 
  • Verantwortung in Form von Rollen und Aufgaben wird auf alle verteilt
  • gemeinsame Entwicklung von Lösungsansätzen für konkrete und aktuelle Herausforderungen in der beruflichen Praxis

Die drei Ziele: Problemlösung, Reflexion, Professionalisierung

1. Lösung von konkreten Herausforderungen im Berufsalltag

Die Gruppe sammelt Lösungsmöglichkeiten. Es wird auf den Erfahrungshintergrund und die Kompetenzen der Teilnehmenden zurückgegriffen. Im geschützten Rahmen profitiert nicht nur die bzw. der Fallgebende von der Diskussion. Das Aufzeigen alternativer Lösungsmöglichkeiten erweitert auch die multiperspektivische Sichtweise und die individuelle Problemlösefähigkeit jedes Teilnehmenden. Im Voneinander- und Miteinander- lernen entsteht eine neue Lernkultur.

2. Reflexion der beruflichen Rolle und der Berufspraxis 

Der Fachaustausch ermöglicht durch einen differenzierten Blick aus der Distanz eine Erweiterung der Sichtweisen auf komplexe Zusammenhänge. Besonders die multiprofessionelle Sichtweise kann dabei eine Bereicherung darstellen. Ein weiterer Aspekt ist die berufliche Selbstkontrolle durch die Einübung einer wertschätzenden Feedback-Kultur.

3. Chance zur Professionalisierung 

Kollegiale Beratung bietet die Möglichkeit, zentrale Schlüsselkompetenzen auszubauen. Dazu gehören soziale Kompetenzen, Beratungs- und Coachingkompetenzen und Methodenkompetenzen.

Ablauf der kollegialen Fallberatung

Ein kollegiales Beratungsgespräch im Team ist modular aufgebaut. Es gliedert sich in sechs Phasen, in denen die Beteiligten verschiedene Aufgaben erfüllen. Eine Beratungssitzung dauert insgesamt ca. 35 bis 45 Minuten und folgt einem transparenten zeitlichen und methodischen Ablauf.

Phase 1: Casting
Dauer: 5 Minuten

Besetzung der Rollen einer kollegialen Beratung in folgenden Schritten:

  • Rolle der Moderation: Die Gruppe einigt sich auf eine Moderation, die durch die weiteren Phasen führt.
  • Rückblick (optional): Wirkbericht der Fallerzählenden vergangener Beratungssitzungen 
  • Besetzung der Rolle der Fallerzählerin bzw. des Fallerzählers: Jedes Gruppenmitglied ist berechtigt einen Fall einzubringen kann, um für ein Schlüsselthema oder eine schwierige Situation neue Perspektiven oder Lösungsideen zu erhalten. 
  • Rolle des Beratungsteams: Die übrigen Teilnehmenden nehmen die Rollen kollegialer Beraterinnen und Berater ein.
  • Eine Person wird zusätzlich zur Assistenz für die Beratung (Phase 5) ernannt. Sie oder er unterstützt die Fallerzählung, indem sie bzw. er die Ideen der Beraterinnen und Berater für alle gut sichtbar, z.B. auf einem Flipchart, sichtbar macht und dokumentiert.
     
Phase 2: Spontanerzählung des Fallerzählers
Dauer: 5 bis 10 Minuten

In einer kurzen Sequenz berichtet die Fallerzählerin bzw. der Fallerzähler von einem Fall, einem Thema, einer Situation mit persönlicher Relevanz. 

Phase 3: Schlüsselfrage
Dauer: 5 Minuten

Das Finden einer passenden Schlüsselfrage ist ein wichtiges Kernelement in einer kollegialen Beratung und erfordert von allen Beteiligten eine besondere Aufmerksamkeit. Dadurch wird der Fokus vom Problem hin zur Lösung gelenkt. Die Moderation bittet den Erzählenden eine ergebnisorientierte Schlüsselfrage an das Beratungsteam zu formulieren. Beispielfragen könnten sein: „Womit wollen Sie heute nach Hause gehen?“ oder „Wohin soll Sie diese kollegiale Beratung führen?“

Phase 4: Methodenwahl
Dauer: 5 Minuten

Die Moderation unterstützt das Beratungsteam darin, eine zur Schlüsselfrage passende Beratungsmethoden auszuwählen.

  • Brainstorming: Diese gängige Methode bietet sich an, wenn die Schlüsselfrage eine Vielfalt von Lösungsideen erforderlich macht.
  • Kopfstand-Brainstorming: Diese Methode erzeugt oft ungewöhnliche Perspektiven für festgefahrene Situationen. Das Beratungsteam sammelt Ideen zu Handlungsempfehlungen, die das Gegenteil dessen erreichen, was der Erzählende laut seiner Schlüsselfrage eigentlich möchte. Am Ende werden die gesammelten Ideen wieder passend zur ursprünglichen Schlüsselfrage umformuliert.
  • Gute Ratschläge: Das Beratungsteam gibt Tipps, Ratschläge und Empfehlungen.
  • Resonanzrunde: In der Resonanzrunde äußert das Beratungsteam persönliche Empfindungen und Gedanken zur Spontanerzählung. Die Anteilnahme und das Verständnis der anderen stärkt den Erzählenden in der Situation.
  • Erfolgsmeldung: Die Fallgeberin bzw. der Fallgeber berichtet von einer Situation, in der ihr bzw. ihm etwas gut gelungen ist und erhält ein stärkenorientiertes Feedback zu den Faktoren, Fähigkeiten und Verhaltensweisen, die zu diesem Erfolg geführt haben.
  • Actstorming: Im Unterschied zum Brainstorming, werden bei dieser Methode verschiedene Verhaltens- oder Formulierungsvorschläge in wörtlicher Rede wiedergegeben. Das Setting: ein Stuhl für die Beratung und gegenüber einem Stuhl, der symbolisch für die Rolle der Fallgeberin bzw. des Fallgebers steht. Nacheinander setzen sich die Beratenden auf den ersten Stuhl und formulieren ihre Ideen.
     
Phase 5: Beratung
Dauer: 10 bis 15 Minuten

Anhand der gewählten Methode teilen die Beraterinnen und Berater ihre persönlichen Gedanken, Gefühle und Erfahrungen mit und entwickeln gemeinsam Ideen mit dem Fokus auf die Schlüsselfrage. 

Phase 6: Abschluss
Dauer: 5 Minuten

Zum Abschluss der kollegialen Beratung zieht die Fallerzählerin bzw. der Fallerzähler die Bilanz und gibt optional ein persönliches Feedback zu den Beiträgen des Beratungsteams.

Quellen und weitere Informationen

Kollegiale Beratung. Problemlösungen gemeinsam entwickeln.

Tietze, K.-O. (2007): Kollegiale Beratung. Problemlösungen gemeinsam entwickeln. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2. Auflage.

„Kollegiale Beratung“ im Rahmen von Kooperationsprojekten

Schmehl, Th.: „Kollegiale Beratung“ im Rahmen von Kooperationsprojekten „Schule und Jugendhilfe“. In: Henschel, A., Krüger, R., Schmitt, C., Stange, W. (2009) (Hrsg.): Jugendhilfe und Schule. Handbuch für gelingende Kooperation. Wiesbaden: VS Verlag, 2. Auflage.

  • Erscheinungsdatum: 27.05.2020

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